Zwischen Neckar und Alb
„Das Auto verliert seine zentrale Stellung“

Verkehr Professor Sven Kesselring sieht das Ende der individuellen Mobilität in der heutigen Form voraus.

Nürtingen. „Wir leben in einer mobilen Risikogesellschaft“, sagt Sven Kesselring, Professor für nachhaltige Mobilität an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Nachhaltige Mobilität wird es für ihn nur geben, wenn die Menschheit Abschied nimmt vom Auto, wie man es bisher kennt.

Ist allein mit technischen Lösungen eine nachhaltige Mobilität zu schaffen?

Sven Kesselring: Neue Fortbewegungsmittel und technologische Lösungen spielen eine wichtige Rolle. Oft wird aber übersehen, dass Mobilität gleichbedeutend ist für die Grundwerte des modernen Lebens: Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstverwirklichung. Mobilität ist ein tief verankertes Kulturgut.

Was bedeutet das für die Entwicklung einer neuen Vorstellung von einer nachhaltigen Mobilität?

Kesselring: Das heißt vor allem, dass es hier dicke Bretter zu bohren gilt. Man muss die Menschen emotional erreichen und Angebote machen, die einleuchten, die Freude machen und die Sinn stiften. Im Vergleich dazu ist die Frage, wie Elektromobilität flächendeckend implementiert werden kann, relativ einfach zu realisieren.

Eine neue Mobilitätskultur - das heißt der Abschied vom Auto?

Kesselring: Absolut richtig. Wir müssen uns vom Auto verabschieden, wie wir es kennen. Anders wird es keine nachhaltige Mobilität geben. Aber eine Entweder-oder-Diskussion - entweder beim Individuum anzusetzen oder bei gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen - führt nicht weiter. Ich schlage vor, dass wir über beides zugleich nachdenken. Denn Rahmenbedingungen - etwa die Frage, ob Mobilität nachhaltig wird durch elektrische Antriebe, Wasserstoff, autonome Fahrzeuge, die Sharing Economy oder die Besteuerung von CO2-Emissionen - wirken sich auf die alltägliche Mobilitätspraxis aus. Wenn ich nur 25 Euro zahle, um von Berlin nach Kopenhagen zu fliegen, beeinflusst das meine Entscheidung. Und sicher wird es beim Beschreiten dieses Wegs auch Konflikte geben, denn hinter jedem Verkehrsmittel oder einer konkreten Lösung stehen immer Interessengruppen. Das Auto wird seine zentrale Stellung in der Mobilität verlieren.Udo Renner