Weilheim · Lenningen · Umland
Das Gedächtnis der Gemeinde

Ortsgeschichte Seit 2011 lässt die Gemeinde Notzingen ihre Archivalien restaurieren. Der älteste Band stammt aus dem Jahr 1708. Die Zeitzeugnisse spiegeln Jahrhunderte der Ortshistorie wider. Von Katja Eisenhardt

Im Keller des Notzinger Rathauses sind in den Regalen des Gemeindearchivs einige historische Schätze zu finden. Aus den jahrhundertealten Büchern – die ältesten Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 1708 – könne man vieles über die Sozial- und Familiengeschichte im früheren Notzingen und Wellingen herauslesen, weiß Archivarin Gabriele Mühlnickel-Heybach, die den Status quo der Arbeiten jetzt dem Gemeinderat berichtete.

Die stellvertretende Amtsleiterin und ihre Kollegen des Kreisarchivs betreuen insgesamt 38 Kommunen des Landkreises bei deren Restaurierung der Gemeindearchive. So auch Notzingen. Die Gemeinde ist laut Bürgermeister Sven Haumacher bereits seit 2011 dabei, nach und nach ihre alten Bücher restaurieren zu lassen. Bis dato wurden dafür 83 552 Euro investiert. In den kommenden drei Jahren sei bis zum geplanten Abschluss der Restaurierungsarbeiten insgesamt noch mit weiteren 9000 Euro zu rechnen, so die Archivarin, „in der Hoffnung, dass es keine Preissteigerungen gibt“. Wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, gehört Notzingen zu den elf Gemeinden, deren papierene Zeitzeugen in den Regalen des Gemeindearchivs vollständig restauriert sind. Wie wichtig deren Erhalt ist, macht die Archivarin deutlich: „Es gibt immer nur ein Exemplar, entsprechend sind bei Nicht-Erhalt auch die darin stehenden Informationen verloren.“

Schäden durch Lagerung

Früher wurden die Notzinger Archivalien im vermutlich zu feuchten Keller des alten Rathauses in der Kirchheimer Straße gelagert. „Wir haben bei den bisherigen Restaurationen auffällig viele Schimmelschäden festgestellt“, berichtete Gabriele Mühlnickel-Heybach. Diese mussten allein schon deshalb entfernt werden, weil der Schimmel ein Gesundheitsrisiko darstellte. Der Pilz zersetzt das Papier, die Ränder zerfallen mitsamt der Schrift zu Staub, wie ein Beispiel der Ortsgemeindepflegrechnung Notzingen 1869/1870 zeigte, die inzwischen restauriert und wieder benutzbar ist. „Dort wurde zunächst der Pilz sterilisiert, dann die Sporen unter einer Abzugsanlage entfernt und das Papier mittels Anfaserung mit neuen Papierfasern wieder stabilisiert sowie die Fehlstellen ergänzt. Der neue Einband schließt die Restaurierung ab“, erklärte die Archivarin.

 

Man kann jetzt auch wieder ohne Gesundheitsrisiko ins Archiv gehen.
Gabriele Mühlnickel-Heybach
stellvertretende Amtsleiterin des Kreisarchivs

 

Ist die Restauration eines Bandes abgeschlossen, vervielfache das seine Lebenszeit um mehrere hundert Jahre. „Man kann jetzt auch wieder ohne Gesundheitsrisiko ins Notzinger Archiv gehen. Im jetzigen Rathaus sind die Bücher gut gelagert“, gab Gabriele Mühlnickel-Heybach Entwarnung. Sind die Seiten fachgerecht restauriert, lassen sich die Texte der letzten Jahrhunderte wieder gut entziffern, vorausgesetzt, man ist des Lesens der alten deutschen Schrift mächtig. Für die Archivarin kein Problem. Die eher geläufige Sütterlin-Schrift sei dagegen erst ab 1900 zum Standard geworden, erklärte Gabriele Mühlnickel-Heybach.

Beim vorsichtigen Durchblättern und Lesen der Schriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert offenbaren sich heute teils kurios anmutende Zeugnisse und Gepflogenheiten längst vergangener Zeiten. „Man glaubt zum Beispiel gar nicht, wie spannend alte Rechnungen sein können oder frühere Gemeinde-Protokolle, die haben teils einen wahren Anekdoten-Charakter“, weiß die Expertin.

So ist in einem Notzinger Rechnungsband aus den Jahren 1869/70 etwa zu entnehmen, dass jene, die mit dem Test der Feuerwehrspritze beauftragt wurden, für ihren Einsatz mit vier Gulden entlohnt wurden. In einem Inventurband für Notzingen und Wellingen der Jahre 1708 bis 1712 wurde in geschwungener Schrift akribisch und detailreich festgehalten, welchen Besitz die Eheleute bei ihrer Heirat vorzuweisen hatten, ebenso wurde Inventur gemacht, wenn jemand verstarb, um das Erbe gerecht verteilen zu können. „Dabei wurde jeweils wirklich das gesamte Vermögen aufgenommen, vom Grundbesitz und Vieh, der Kleidung oder den Fruchtvorräten bis hin zu den einzelnen Silberknöpfen und Nähnadeln. Da sowohl bei der Heirat als auch beim Tod Inventur gemacht wurde, ließ sich daraus ablesen, ob der- oder diejenige im Laufe des Lebens gut gewirtschaftet hatte oder nicht“, erklärte die Archivarin.

In Gerichtsprotokollen der Jahre 1791 bis 1808, den Vorläufern der heutigen Gemeinderatsprotokolle, erfährt man zum Beispiel etwas über die Schlichtungen bei Streitigkeiten unter den Einwohnern: „Das sind sozialgeschichtliche Quellen ersten Ranges.“