Lenninger Tal
Das Homeoffice ist ein alter Hut

Geschichte Der „Historische Stadtrundgang“ in Owen ist um zwei Stationen in der Bahnhofstraße erweitert worden. Die Schilder am Amtsplatz und am Bahnhof stellte Sabine Widmer-Butz vor. Von Iris Häfner

Beginn und Ende des „Historischen Stadtrundgangs“ in Owen liegen nun nah im Unterstädtle beieinander: Station eins ist die ehemalige Klostermauer in der Eisenbahnstraße, seit wenigen Tagen ist die letzte und 20. Station der Bahnhof. Zwei Tafeln ergänzen nun die bisherigen 18 Stationen, die letzte war lange Zeit das Rathaus im Oberstädtle. Nun geht es aber weiter, bergabwärts zur Bahnhofstraße. Der kürzeste Weg führt über die lichtschachtartigen Gittertreppen an der alten Stadtmauer vom einstigen Notariat zur Schule in die Teckstraße hinab.

Genau an dieser Stelle startet die Sonderführung „Entdecken Sie Amtsplatz, Bahnhofstraße und Bahnhof neu“ des Alt-Owen Förderkreises. Zuvor begrüßt Karl-Heinz Ritter vom Verein die überraschend zahlreichen Gäste. Aus Anlass 750 Jahre Owen im Jahr 2011 wurden die ersten Tafeln an wichtigen Orten im Städtle angebracht, um die Geschichtsbegeisterung im Ort zu fördern und auf das kulturelle Erbe aufmerksam zu machen. 

Bewusst hat Dr. Sabine Widmer-Butz den Platz neben der Schule gewählt. Von dieser leichten Anhöhe hat man die komplette Sicht auf die Bahnhofstraße von der alten Steinbrücke bis zum Bahnhofsgebäude. Die zurückzulegende Strecke ist deshalb überschaubar, es sind nur wenige Hundert Meter. „Heute geht es nur durchs Unterstädtle, die Talsiedlung ist heute unser Thema“, stimmt die Historikerin ihre Gäste auf die kurze Tour ein.

 

Es war im Interesse der Industrie, dass der Transport zur Papierfabrik oder zu Leuze schneller ging und der aufwendige Vorspann in der steilen Steigstraße ins Oberstädtle wegfiel. Das war ein Preisfaktor
Sabine Widmer-Butz
 

Als die „Schallmauer“, wie sie die stark befahrene Ortsdurchfahrt nennt, an der Ampel passiert ist, erinnert sie daran, dass noch in den 1860er Jahren der komplette Verkehr durchs Oberstädtle führte, die Kutschen und Karren über die Marktstraße fuhren. „Es war im Interesse der Industrie, dass der Transport zur Papierfabrik oder zu Leuze schneller ging und der aufwendige Vorspann in der steilen Steigstraße ins Oberstädtle wegfiel. Das war ein Preisfaktor“, erklärt sie.

Der nächste Meilenstein war dann die Planung der Eisenbahn bis zu Scheufelen in Oberlenningen und nach Weilheim Ende der 1890er Jahre. Auch das war den Industriebetrieben geschuldet. „Die Fracht wurde bis dahin mit Ochsenfuhrwerken transportiert. Mit der Bahn konnten die Waren leichter und schneller verschickt werden und auch die Arbeiter konnten von weiter entfernten Dörfern und Städten schneller zur Arbeit kommen“, erläutert Sabine Widmer-Butz. Die Stadt Owen hat den Bahnbau mit 40 000 Mark unterstützt. „Weitere 25 000 Mark kamen von privater Seite. Das zeigt das Interesse“, so die Historikerin. 1898 lag schließlich die Genehmigung vor, 1899 war dann die Einweihung der Strecke. Doch die Planung der Trasse ging „nicht ganz ohne Unmut“, es kam zu Zwangsenteignungen. 

Nicht ganz rund lief auch die Planung der Bahnhofstraße. Für einen geraden Verlauf waren einige Gebäude im Weg. Hier wurde jedoch nicht radikal in die Bausubstanz eingegriffen, sondern erst nach der neuen Bau­linie gebaut, wenn ein Gebäude abgerissen wurde. Am Amtsplatz steht das neue Schild Nummer 19 „Amtsplatz und östliche Bahnhofstraße“ des Stadtrundgangs. Im Schatten der drei Bäume und neben dem Brunnen mit zwei symbolischen Mühlsteinen – damit wird an die vielen Mühlen von einst erinnert – ging Sabine Widmer-Butz detailliert auf einzelne Häuser und deren nicht selten wechselnde Bewohner ein. Sie zeigte alte Pläne und Fotos von längst abgerissenen Gebäuden. 

Der Amtsplatz wurde lange nicht genutzt, bis 1936 die „Superidee der Erzeugergemeinschaft Steinobst“ ins Leben gerufen wurde. En gros wurden hier Kirschen gemeinsam vermarktet. „Pro Tag waren es zwischen einer und vier Tonnen. Das war beträchtlich und die Erzeuger haben ihre komplette Ware losbekommen“, verdeutlicht die Historikerin diese lukrative Art des Verkaufs, die nach dem Krieg jedoch keine Fortsetzung fand. 

Ein Kuriosum ist das „Läuteseil“. Es war die erste Fernmeldeanlage in Owen. Weil einst  Amtmann Faber anno 1794 das „Homeoffice“ in seinem komfortablen Wohnhaus nahe des heutigen Amtsplatzes dem eher spartanisch eingerichteten Rathaus vorzog, aber nicht auf die Dienste seines Amtsdieners verzichten wollte, ließ er dieses Seil vom Unter- ins Oberstädtle spannen. Einmal am Seil gezogen und schon schellte es im Rathaus und Bote kam – so er die Glocke vernahm.

Heute wird die Bahnhofstraße von den Schaufenstern der Firma Barner Schuhe dominiert. Schuhmacher Christian Barner gründete 1896 das Geschäft, das heute in der vierten Generation geführt wird. Doch die Einzelhandelsgeschäfte werden immer weniger. So steht Owen modellhaft für eine Entwicklung, die in vielen Städten zu beobachten ist, wie ein Teilnehmer bemerkte. Die Eisenbahn brachte einen gewissen Boom, dessen Glanz merklich verloren hat. Bereits 1965 war Schluss mit der Hotel- und Gaststättenherrlichkeit direkt neben dem Bahnhof. Der große Komplex, der heute ein tristes Dasein fristet, hatte nicht nur einen Saal, sondern auch eine Gartenwirtschaft samt Kiosk.​​​​​​​ 

In frischem Glanz erstrahlt dagegen das Bahnhofsgebäude. Die Stadt Owen hat kräftig investiert. Was dort außer dem Probenraum des Musikvereins untergebracht ist, kann jeder und jede auf der Schlusstafel Nummer 20 „Bahnhof und westliche Bahnhofstraße“ nachlesen.