Seit Harald Weidner seine Hausarztpraxis Ende vergangenen Jahres aus Altersgründen aufgegeben hat, lastet die medizinische Versorgung in Unterensingen allein auf den Schultern von Allgemeinmedizinerin Fernanda Boog. „Aber sie kann die 1500 Patienten von Dr. Weidner nicht auch noch zusätzlich aufnehmen“, sagt der Bürgermeister Sieghard Friz. „Sie ist bereits an ihrer Patientengrenze angelangt.“ Viele, vor allem betagte Patienten, wüssten nun weder ein noch aus und hätten sich in ihrer Verzweiflung bereits an seine Mitarbeitenden oder an ihn persönlich gewandt. Die Hausarztversorgung in der 5000-Einwohner-Gemeinde sei ein „ganz, ganz großes Thema, das die Bevölkerung umtreibt“, weiß Sieghard Friz und betont: „Wir versuchen alles, um die Lücke möglichst schnell zu schließen. Wir können uns dafür nicht zwei oder drei Jahre Zeit nehmen.“
In ihrem Bemühen erhält die Gemeinde nun Unterstützung vom Land: Der Kabinettsausschuss Ländlicher Raum fördert die Durchführung von Standortanalysen in landesweit 20 Gemeinden zur ärztlichen Versorgung mit insgesamt 280 000 Euro. Dadurch soll eine wohnortnahe, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung der Menschen im ländlichen Raum gesichert werden, erläutert Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und Vorsitzender des Kabinettsausschusses. Bislang stehen elf Kommunen bereits fest – Unterensingen ist dabei. „Das ist für unsere Kommune natürlich eine erfreuliche Nachricht“, sagt Sieghard Friz.
Mit der Durchführung der Analysen wurde die „Gt-service“ Dienstleistungsgesellschaft beauftragt, eine hundertprozentige Tochter des Gemeindetags Baden-Württemberg. „Eine Besonderheit des Projekts liegt darin, dass die teilnehmenden Kommunen eine höchst individuelle Beratung, Analyse und Empfehlung bekommen“, hebt der Minister hervor. „Die zu behandelnden Fragestellungen orientieren sich an den Gegebenheiten und Interessenlagen der beteiligten Akteure.“ Die teilnehmenden Kommunen könnten damit rechnen, „binnen drei bis allenfalls sechs Monaten Umsetzungsvorschläge an die Hand zu bekommen“, sagt Peter Hauk. Die Beratung und Begleitung der Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg ist eine der originären Aufgaben der „Gt-service“. Die strategische Planung umfasst Themenbereiche wie die Wasser- und Abwasserversorgung, Digitalisierung, Klimaschutz sowie Nachhaltigkeit. Es gehe darum, „gemeinsam kreative und patientenorientierte Lösungen zu finden und den Mut zu haben, entsprechende Wege zu gehen“, betont Peter Hauk.
„Das Angebot der ‚Gt-service‘ umfasst die Analyse der Versorgungssituation vor Ort, zunächst im Gespräch mit den kommunal Verantwortlichen, anschließend mit den örtlichen Leistungsträgern des Gesundheitssektors“, erläutert eine Sprecherin der Gesellschaft die Vorgehensweise. In Unterensingen würden die Fachleute nicht bei Stunde null anfangen, denn hier habe man sich bereits „intensiv mit Lösungsansätzen zur Sicherstellung der Hausarztsituation befasst“, heißt es seitens der Dienstleistungsgesellschaft. „Mit unserer begleitenden Fachberatung unterstützen wir die Kommune in Fragen des Vorgehens, der Planung und Umsetzung zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung.“
Hoffen auf eine schnelle Lösung
Es gab bereits ein erstes Gespräch mit der Beratungsgesellschaft, bestätigt der Bürgermeister. Sieghard Friz betont zugleich: Man werde nicht auf das Ergebnis der Standortanalyse warten, sondern sich parallel dazu weiter um die Ansiedlung eines Allgemeinmediziners oder einer Hausärztin bemühen. Ihrer Stärken sei sich die Gemeinde durchaus bewusst: „Wir haben eine gute Verkehrsanbindung an die A 8 und die B 313, eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr im Halbstundentakt, eine sehr gute Kinderbetreuung und ein Baugebiet in der Erschließung.“ Die Hoffnung des Bürgermeisters ist, „dass wir noch in diesem Jahr eine Lösung hinbekommen“.
Hausärztliche Versorgung im Kreis
Versorgungsdichte: Der Gesetzgeber hat mit der sogenannten Bedarfsplanung ein Regelwerk festgelegt, das die Zahl der niedergelassenen Ärzte in Grenzen halten soll. Dafür wird ein Arzt-Einwohner-Verhältnis festgelegt, das als 100-Prozent-Versorgung gilt. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ist die vertragsärztliche Versorgungssituation im Kreis Esslingen (Stand Oktober 2022) gut. Sie hat sich gegenüber dem Vorjahr sogar leicht verbessert: Bei den Hausärzten beträgt die Quote im Planungsbereich Esslingen 91,4 Prozent (2021: 90,9), in Bereich Kirchheim 109 Prozent (107,2) und im Bereich Nürtingen 96,2 Prozent (93,9).
Hausärzte: Insgesamt gibt es laut der KVBW (Stand Juli 2022) im Landkreis Esslingen 330 Hausärzte, im Jahr zuvor waren es noch 325. 140 Allgemeinmediziner praktizieren demnach in einer Einzelpraxis. Die meisten Hausärzte sind in den größeren Städten des Kreises zu finden: in Esslingen (54), Kirchheim (37), Filderstadt (32), Nürtingen (24) sowie Leinfelden-Echterdingen und Ostfildern (je 20). Laut Sozialministerium gibt es im Planungsbereich Esslingen keine oder keine drohende Unterversorgung.
Altersstruktur: Von den 330 Hausärzten im Landkreis Esslingen stehen der Statistik der KVBW zufolge viele vor dem Ruhestand. 116 Allgemeinmediziner sind bereits 60 Jahre und älter, lediglich 29 Hausärzte sind unter 40. eh