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„Das monarchische Prinzip muss enden“

Basisdemokratie Die katholische Kirche hat nach Ansicht von Pro Concilio seit über 50 Jahren den Anschluss an die moderne Welt- und Lebenserfahrung verpasst. Von Simone Weiß

Sie wollen die katholische Kirche. Aber sie wollen sie mit Veränderungen. Petra Wagner und Peter Wieland aus Reichenbach engagieren sich in der Reforminitiative Pro Concilio.

Frau Wagner, Herr Wieland, Sie haben einen ganzen Veränderungskatalog für die katholische Kirche mit sieben Punkten aufgestellt. Welche Reform ist für Sie die wichtigste? 

Petra Wagner: Das ist die Forderung nach einer Demokratisierung kirchlicher Strukturen und der Beendigung der herrschenden absolutistisch-monarchischen Verfassung mit dem Papst als alleinigem Entscheider an der Spitze. Die Entscheidungswege müssen von unten nach oben führen, und Frauen müssen gleichberechtigt 
beteiligt sein.

Peter Wieland: Die Bischöfe können in ihrer Diözese alles entscheiden. Eine Beteiligung der Basis ist zwar möglich – aber das liegt allein im Ermessen des Bischofs. Wichtig wären daher eine größere Einbindung der Gläubigen etwa bei der Besetzung von Bischofsämtern und eine Bestellung der Amtsinhaber auf Zeit. Wir wollen auch mehr Eigenständigkeit der Ortskirchen und entscheidungsbefugte Synoden unter Einbeziehung des Kirchenvolkes. Eine Vielfalt in Einheit wäre angemessener als der römische Zentralismus. Alle anderen Problemfelder wie die Unfehlbarkeit des Papstes, die Missbrauchsskandale, die untergeordnete Stellung der Frau oder die Sexualmoral würden durch die größere Beteiligung des Kirchenvolkes korrigiert werden. Denn etwa 80 Prozent der Katholikinnen und Katholiken stehen für einen Reformprozess.

Die Missbrauchsskandale können Ihrer Ansicht nach durch strukturelle Reformen beendet werden?

Wieland: Beides hängt zusammen. Die Offenlegung der Missbräuche und die Beschäftigung damit haben die Reformbewegung stark gemacht. Zuvor wurde über Veränderungen in der Kirche kaum geredet. Dadurch wurde begriffen, dass etwas getan werden muss. Durch demokratischere Strukturen würde der Pflichtzölibat fallen, und Amtsinhaber könnten sich freiwillig für oder gegen die Ehelosigkeit entscheiden. Durch den Zugang aller Geschlechter zu Weiheämtern könnten auch Frauen ordiniert werden. Damit würden verkrustete Strukturen in der Kirche aufgebrochen. Die Ämter wären dann auch für Menschen mit nicht zölibatärer Ausrichtung attraktiv, und der Priestermangel könnte gemildert werden. In unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich einiges bewegt, denn hier wurde bereits 2003 ein Präventionsprogramm zum Thema „sexueller Missbrauch“ in die Wege geleitet. Auch in der Gesamtkirche finden die Opfer jetzt Gehör. 

Wie würde denn eine zeitgemäße katholische Sexualmoral aussehen?

Wagner: Die enge Verknüpfung von Sexualität und Fortpflanzung müsste aufgelöst werden und die Sexualität als Sprache der Liebe bezogen auf alle sexuellen Orientierungen verstanden werden. Wichtig wären lebbare, dem Gewissen verpflichtete moralische Maßstäbe. Dazu gehört ein verantwortungsbewusster Umgang mit der Sexualität, der den Menschen nicht zum Objekt degradiert, sondern eine gelingende Beziehung ermöglicht.

Hat die aktuelle Lage der Kirche denn Auswirkungen auf die Situation vor Ort?

Wagner: Die Seelsorge leidet unter der bestehenden Situation. Früher hatten wir einen Pfarrer für Reichenbach, Hochdorf und Lichtenwald – heute sitzt unser Seelsorger in Plochingen, und er muss auch Deizisau und Altbach mitbetreuen. Für Gespräche und einen Austausch bleibt kaum Zeit. Es mangelt auch an pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denn durch den Reformstau ist die Kirche wenig attraktiv. Weitere Folgen sind ein Rückgang des ehrenamtlichen Engagements und Kirchenaustritte.

Ist der langsame Fortgang des Reformprozesses denn nicht frustrierend?

Wieland: Der langsame Fortgang ist lähmend. Es wäre schön, wenn wir es erleben könnten, dass sich etwas verändert. Es braucht dringend grundlegende Entscheidungen. Aber wir sehen die kleinen Schritte, die gemacht werden und die uns vorwärts führen. Unter Papst Franziskus ist das Klima der Angst verschwunden, das jede Kritik ausgebremst hat. Unter den früheren Päpsten wurden Kritiker als Nestbeschmutzer bezeichnet, und kirchliche Mitarbeiter mussten mit Repressalien rechnen. Das ist nicht mehr so.

Wie sieht das weitere Engagement von Pro Concilio aus?

Wieland: Wir bleiben am Ball. Wir werden den Reformprozess weiterhin kritisch begleiten, uns Gehör verschaffen, auftreten und unsere Forderungen stellen. Am Samstag, 8. Juli, organisieren wir um 19.30 Uhr im Gemeindesaal St. Antonius in Waiblingen einen Vortrag zum Thema „Es war halt (nicht) immer so. Kirchenreform aus historischer Perspektive“ mit dem Kirchenhistoriker Professor Hubert Wolf aus Münster. Am Samstag, 18. November, berufen wir von 14.30 bis 18 Uhr im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart eine erneute Konzilsversammlung der Delegierten aus den Kirchengemeinden und Verbänden ein. Dabei geht es um ein Fazit der bisherigen Reformschritte und die Verabschiedung einer Resolution zur Fortsetzung weiterer Veränderungen an die Verantwortungsträger in unserer Diözese, in Deutschland und im Vatikan.

Es gibt auch Gläubige, etwa Anhängerinnen von „Maria 1.0“, die keine strukturellen Veränderungen wünschen.

Wagner: Meinungsvielfalt gehört zur Demokratie. Aber es fällt mir schwer, Verständnis für diese Reformgegnerinnen zu zeigen und ihre Argumentation nachzuvollziehen.

Wieland: Wenn die Kirche nicht mit der Zeit geht, dann geht sie mit der Zeit.