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Das Nürtinger Hölderlinhaus: Das Alte mit der Gegenwart verknüpft

Einweihung Mit einem großen Festakt wurde das Hölderlinhaus in Nürtingen offiziell seiner Bestimmung übergeben. Das 9,8 Millionen teure „Jahrhundertprojekt“ war nicht immer unumstritten. Von Andreas Warausch

Bis zu diesem festlichen Abend dauerte es 20 Jahre. Jahre voller Diskussionen, manchmal auch voller Streit um die Zukunft des Hölderlinhauses. Doch gemeinsam wurde das Nürtinger Jahrhundert-Projekt letztlich geschultert und im großen Rahmen gefeiert.

So zeigte sich denn auch Oberbürgermeister Johannes Fridrich überwältigt von der vollen guten Stube der Stadt. „Heute ist ein Freudentag für Nürtingen“, sagte er. Das Haus, in dem neben der topmodernen Hölderlin-Dauerausstellung unter anderem auch Seminar- und Büroräume für die Volkshochschule sowie Räume für das Kulturamt und die Musik- und Jugendkunstschule untergebracht sind, sei ein lebendiger Erinnerungsort, der der Bedeutung Friedrich Hölderlins gerecht werde. Der Dichter hatte dort ab 1774 Kinder- und Jugendtage verbracht und war bis 1798 dorthin oft zu seiner Mutter heimgekehrt.

Freilich blickte der OB auch zurück auf die bewegte Historie des Hauses, das seit 1811 oft Schulhaus war und immer wieder umgebaut wurde. Letztlich mündete diese Geschichte nun in die umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten der letzten zwei Jahre. Auch der Gok’sche Keller als ältester Gebäudeteil sei nun erstmals als Veranstaltungsort nutzbar. Insgesamt sei das Haus nun ein Ort, der viele Bereiche der Stadt verbinde. 9,8 Millionen Euro verschlang das Projekt, mit dem es Architekt Professor Jörg Aldinger gelungen sei, Funktionalität und Ästhetik in Einklang zu bringen. Bund und Land steuern zur stolzen Summe rund 4,6 Millionen Euro bei. Fridrich: „Ohne diese Förderung gäbe es dieses Leuchtturm-Projekt nicht.“

Zur Güte des Freudentages trug nicht nur die beachtliche Qualität des Programms und der Redebeiträge bei, sondern auch die Anwesenheit vieler Ehrengäste. Nicht zuletzt erwiesen auch Nachfahren von Hölderlins Schwester Heinrike Breunlin den Nürtingern die Ehre.

An der Spitze der Gästeliste stand zweifelsohne der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Mit großer Sachkenntnis hob der Landesvater die immer noch immense literarische Bedeutung Hölderlins hervor. Wie der Dichter jetzt im Haus präsentiert werde, sei beeindruckend. Kretschmann hatte bereits vor dem Festakt die multimediale Dauerausstellung besucht. Besonders angetan hatte es ihm die Idee, mit der es möglich ist, durch Berührung am Bildschirm Hölderlinsche Handschriften in Druckschriften anzeigen zu lassen. „Genial“ sei diese innovative Idee, lobte er.

Philosophischer Exkurs

Kretschmann nahm die Gäste dann mit auf einen philosophischen Exkurs in Hölderlins Gedankenwelt. Bildung und Lernen habe bei Hölderlin eine große Rolle gespielt. Und die Frage nach der Relevanz der Dichtkunst, die auch heute angebracht sei, habe sich Hölderlin schon vor über 200 Jahren gestellt. Davon bekomme man im neuen Hölderlinhaus, durch das der Geist des Dichters wehe, nun eine Ahnung. So hätten die Nürtinger einen Ort für die Erinnerung an Hölderlin geschaffen. Zum Ende nutzte Kretschmann die Gelegenheit, um angesichts weltweiter Umbrüche und Krisen den Menschen mit einem Hölderlin-Zitat Mut zu machen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, heißt es in der Hymne „Patmos“.

Architekt Aldinger erklärte anschließend, wie das Hölderlinhaus vor Beginn der Arbeiten ein bedauernswerter Ort gewesen sei, dessen Schätze kaum sichtbar gewesen seien. Das Alte mit der Gegenwart zu verknüpfen und ein Fenster in die Zukunft zu schaffen, das sei das Ziel gewesen.

Von Anbeginn unterstützt hat Professor Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv Marbach das Nürtinger Projekt. Er ist auch Leiter der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, die die Einrichtung der Dauerausstellung mit 90000 Euro bezuschusst. Auch Schmidt kam in seinem Grußwort auf den Streit zu sprechen, der ums Haus tobte, dem sogar einst der Abriss drohte. Aber: Solche Konflikte seien die Regel, aber es sei gelungen, für Hölderlin einen innovativen Erinnerungsort zu schaffen, „ein Produkt der „Schaffenskraft einer mutigen Stadt“, lobte Schmidt die Nürtinger.

 

Ein würdiges Rahmenprogramm

Franziska Knappe und Roman Malich, die beiden ehemaligen Schüler des Hölderlin-Gymnasiums steuerten eine Lyrik-Duett-Performance zu Hölderlins berühmten Gedicht „Hälfte des Lebens“ bei. Es war frappierend, wie es den jungen Menschen gelang, dem gebannten Publikum interpretatorische Tore zur Tiefe dieses kurzen Werks anzubieten.

Passende Klänge kamen auch vom Lehrerensemble der Musik- und Jugendkunstschule, das mit Elena Benditskaia (Klavier), Dimitris Lampos (Violoncello) und Thomas Löffler (Klarinette) Beethovens „Gassenhauer-Trio“ zu Gehör brachte, ehe das Blechbläserensemble der Musik- und Jugendkunstschule mit Lehrkräften und Schülern unter der Leitung von Herward Heidinger mit der wahrlich strahlenden „Nordic Fanfare and Hymn“ von Jacob de Haan dem Festakt einen würdigen Ausklang verlieh.

Anschließend traf sich die Festschar im Foyer. Ebenso konnte das in dezenten Lichtschein getauchte Haus selbst besichtigt werden. Dort gibt es auch am Wochenende freilich die Gelegenheit zur Besichtigung. Los geht es am Samstag um 11 Uhr mit einer Ansprache von OB Fridrich vor dem Hölderlinhaus. Mit von der Partie ist da auch der Männerchor des Projekts „M“ mit einem kleinen Konzert. aw