Weilheim und Umgebung
„Das nenne ich scheinheilig“ 

Mobilität Ein Bad Boller wirft der Initiative „Gemeinsam weiterkommen“ Mobbing gegen Autofahrer vor.

Bad Boll. Dierk Schäfer kann unbequem sein. Das bringen die Themen mit sich, die er als Studien­leiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll bearbeitete und die ihn auch im Ruhestand beschäftigen. Kinderrechte, traumatisierte Heimkinder, Missbrauch in der Kirche. Und er ist einer, der sich nicht scheut, sich mit Institutionen anzulegen. Jetzt wird er unbequem, weil er selbst betroffen ist: Darf er noch das Auto nehmen, muss er sich dafür rechtfertigen? Für das Umsteigen auf Bus und Rad wirbt die Initiative „Gemeinsam weiterkommen“ aus Bad Boll.

Schäfer wirft ihr Mobbing vor. Dies tue die Initiative mit einer Umfrage, die wissen will, wie der Befragte seine Mitmenschen einschätzt: Ob die dafür seien, dass man das Autofahren oder das Radfahren oder den öffentlichen Nahverkehr stärken solle.

Es ist bereits die zweite Umfrage. Die erste hatte auch schon Irritationen ausgelöst. Davon war die Initiative überrascht. Sie wolle mit diesem wissenschaftlichen Ansatz eine soziale Norm erfassen. Denn: Wie die anderen über etwas denken, könne den Einzelnen in seiner Haltung beeinflussen. So wie man das von der Mode kennt. Was alle tragen, trägt man auch selbst.

Ein Fehlschluss, sagt Schäfer. „Wer ein Auto hat und braucht, der gebraucht es auch.“ Der richte sich nicht danach, was andere meinten. Was die Initiative mache, sei Mobbing. Nach dem Motto: Wer Auto fährt, gerät ins Meinungsabseits, muss sich schämen und rechtfertigen. Schäfer findet die Umfrage auch fragwürdig, weil sie „den Anschein von Wissenschaftlichkeit“ erwecke. Der Mobilitätsbedarf werde nicht erhoben, und diesem Bedarf, den man nicht kenne, werde kein Alternativangebot gegenübergestellt. Dabei gäbe es eines, weiß Schäfer.

Schäfer geht noch weiter und dreht den Spieß um. Die größten Verursacher des Verkehrs in Bad Boll blieben ungeschoren. Das seien eben jene großen Betriebe, die die Initiative unterstützten, die Evangelische Akademie und die Wala. Wie passe das zusammen, wenn die Initiative sage, der Privatmann solle das Auto stehen lassen, aber zur Akademie und zur Wala werde weiterhin gefahren? Schäfer: „Ich nenne das scheinheilig.“ Und: „Gerade eine kirchliche Einrichtung wie die Akademie sollte Vorbild sein oder das Moralisieren sein lassen.“

In seinem Zorn hat der ehemalige Studienleiter eine fiktive und satirische Pressemitteilung der Akademie verfasst, in der diese angeblich gelobt, weniger Autoverkehr auszulösen. Die Akademie werde einen Parkplatz zum Kinderkarussell machen und biete an, Referenten mit der E-Rikscha aus Göppingen abzuholen.

Dass die Initiative „Gemeinsam weiterkommen“ gerade auch den Mitarbeitern der Wala und den Tagungsteilnehmern der Akademie die Anfahrt per Bus und Rad schmackhaft machen will und diese Betriebe schon lange Vorreiter für den Umweltschutz sind, ändert für Schäfer nichts. „Geschäftsmodelle dürfen sein - aber private Modelle nicht?“ Den privaten Bedarf gebe es genauso. Jürgen Schäfer