Kaum zu übersehen sind die Parallelen zwischen Corona und der Karwoche. In einem aktuellen Beilageblatt ihres „Kirchenfensters“ beschreibt die evangelische Gesamtkirchengemeinde Kirchheims die Lage der Anhänger Jesu vor rund 2000 Jahren: „Die dunkle Zeit durchstehen! Die Ratlosigkeit ertragen, wie es weitergehen soll. Das tun, was jetzt gerade möglich ist. Sie hielten die Hilflosigkeit miteinander aus.“ Der Karfreitag ist der absolute Tiefpunkt, die finsterste Nacht. Doch er ist nicht der Schlusspunkt der Geschichte, denn: „Die Finsternis bekommt wundersame Risse, durch die das Licht neuer Zukunft bricht.“ Aus Furcht, Lähmung und Ohnmacht führt Ostern zu einem Neubeginn.
Gerade deswegen ist Ostern so wichtig – gerade auch das zweite Corona-Ostern in Folge, auf das sich die Kirche jetzt vorbereitet. Das betonen der evangelische Pfarrer Axel Rickelt und sein katholischer Kollege Franz Keil unisono. „Es geht uns nicht um Infektionsschutzkonzepte, und auch über das Verhältnis von Kirche und Staat wollen wir an dieser Stelle nicht diskutieren“, sagt Axel Rickelt. Vielmehr gehe es um die Frage, welche Botschaft die Kirche an Ostern vermitteln kann – den Niedergeschlagenen, die der Corona-Lockdown müde macht. Diese Müdigkeit ist das, was Axel Rickelt als größte Veränderung gegenüber Ostern 2020 wahrnimmt: „Da war Corona noch ganz frisch. Da herrschte ein Schockzustand. Stattdessen herrscht jetzt eher ein Zustand allgemeiner Müdigkeit.“
Franz Keil erinnert an die frohe Botschaft, die Ostern seit jeher vermittelt – in Pandemie-Zeiten sogar noch viel stärker als sonst: „Nach Karfreitag kommt Ostern. Das macht Hoffnung. In diesem Bewusstsein lässt sich der Karfreitag besser aushalten – obwohl er an die Todesstunde erinnert, in der die Welt am Abgrund ist.“ Den Unterschied zu Corona erkennt er freilich auch: „Da steht es noch nicht im Kalender, wie es weitergeht und wann genau die Osterflamme die Dunkelheit zerstört.“
Hoffnungsschimmer am Horizont
Die Auferstehung in vielen kleinen Dingen des Alltags, auf die die Menschen nun schon so lange warten, wie sie auch im Osterspaziergang aus Goethes „Faust“ zum Ausdruck kommt, beschreibt Franz Keil mit einem sehr menschlichen und höchst irdischen Vergleich: „So wie Ostern auf Karfreitag folgt, so folgen auf die Pandemie auch wieder Zeiten, in denen man im Biergarten Bier trinken kann.“ Nicht für alle, aber für viele ist diese Aussicht mehr als nur ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Es ist auch nicht als profane Nichtigkeit abzutun im Vergleich zu den großen theologischen Zusammenhängen. Im Gegenteil: Axel Rickelt erinnert an das zutiefst Menschliche, das in den letzten Worten des Erlösers am Kreuz zum Ausdruck kommt: „Da geht es um Durst, um die Versorgung der Familie, um Angst und ums Verzeihen. Genau das ist das menschliche Leben – das ganz normale, einfache Leben.“ Und schon zieht er eine weitere Parallele zu Corona: „Wir sind ja gerade sehr vereinzelt, aber genau diesen einzelnen Menschen begegnet der Auferstandene nach Ostern. Er hat keine Auftritte mehr vor großen Menschenansammlungen.“
Franz Keil präzisiert die These von der Vereinzelung, indem er an den Emmaus-Gang erinnert, der auch gut zur Pandemie passt: „Da sind zwei tief enttäuschte Jünger unterwegs, aber sie sind nicht allein, sie sind immerhin zu zweit. Das ist wichtig.“ Die Konzentration auf die Kernfamilie oder auf den innersten Freundeskreis hilft schon weiter – auch ohne dass sich dann noch der dritte, der unbekannte Wanderer hinzugesellt.
„Ostern macht Beine“, resümiert Franz Keil. „Deswegen wollen wir die Leute dazu bringen, sich zu bewegen – auch aus der Enttäuschung und aus der Lethargie heraus.“ Liturgie statt Lethargie, heißt also das Stichwort – obwohl der Emmaus-Gang, der am Ostermontag von St. Ulrich nach Schlierbach führt, nicht in der großen Masse stattfinden kann. Wichtig bleibt die grundsätzliche Botschaft: „Das Leben setzt sich auf Dauer durch. Das gilt für die Pandemie wie für Ostern.“