Eigentlich, so die Hoffnung im November 2021, als das Projekt öffentlich vorgestellt wurde, hätte alles glatt gehen sollen: Die Gemeinde veräußert das Grundstück neben der Seniorenwohnanlage Rose an einen Bauträger, dieser baut dort eine Erweiterung der Wohnanlage mit weiteren acht Seniorenwohnungen, und der Krankenpflegeverein Schlierbach, der die örtliche Diakoniestation betreibt, erwirbt das Erdgeschoss des Neubaus, um dort eine Tagespflege für Senioren einzurichten. Den Kaufpreis von rund 1,5 Millionen Euro hätte der Krankenpflegeverein aus Rücklagen und vor allem mit Krediten finanziert. Zusammen mit dem Pflegeheim Alexanderstift, der Diakoniestation und der Seniorenwohnanlage Rose wäre die Pflege- und Betreuungsinfrastruktur in Schlierbach komplettiert.
Dass die finanziellen Spielräume für den Krankenpflegeverein vor allem wegen der gestiegenen Zinsen und höherer Baupreise enger werden, hatte sich schon im Frühjahr abgezeichnet. Gemeinsam mit dem Bauträger, der Firma Wohnbau Birkenmaier, suchten die Projektbeteiligten nach Einsparmöglichkeiten und konnten so die Baukosten nochmals um rund 200 000 Euro reduzieren. Doch das alleine reichte nicht. Den scheinbar endgültigen Todesstoß für das Projekt versetzte dann im August die Nachricht, dass die beantragten Fördermittel für die Einrichtung der Tagespflege – immerhin 300 000 Euro – nicht gewährt werden. Das Projekt war für den Krankenpflegeverein finanziell so nicht mehr zu stemmen, der umgehende Stopp der Bauarbeiten folgte.
Telefondrähte liefen heiß
Der Schock saß zunächst tief. „Eigentlich hatte ich das Projekt für mich an diesem Punkt beerdigt“, sagt Florian Henzler, FUW-Gemeinderat und aus dem Rat in den Vorstand des Krankenpflegevereins abgeordnet. Ähnlich beschreibt auch Schlierbachs Bürgermeister Sascha Krötz seine damalige Gefühlslage: „Für mich war klar: Jetzt fährt das Projekt gegen die Wand.“ Nach der anfänglichen Schockstarre begannen jedoch die Telefondrähte zu glühen. Dass die Gemeinde die Schatulle öffnet, ist nicht selbstverständlich, denn Investitionen in den Altenpflegebereich sind keine kommunale Pflichtaufgabe. „Wir haben auch andere Projekte in der Gemeinde – und wir müssen unsere Handlungs- und Zukunftsfähigkeit erhalten“, macht Marco Emmert deutlich. Andererseits ist der Bedarf an Tagesbetreuungsplätzen augenscheinlich da, wie Ivonne Mauer, Pflegedienstleiterin der Diakoniestation, berichtet. Die Nachfragen nach einem Tagesbetreuungsangebot in Schlierbach kämen immer wieder: „Wir werden sehr oft darauf angesprochen.“ Sie schätzt, dass aus dem aktuellen Patientenstamm zwischen 40 und 50 Menschen gut in einer Tagesbetreuung aufgehoben wären. Dazu kommt: Auch in Schlierbach werden immer mehr Menschen pflegebedürftig: „Im August 2020 haben wir 86 Patientinnen und Patienten in Schlierbach ambulant betreut – jetzt im Oktober 2023 sind es bereits 118“, berichtet Maurer.
Lösung einstimmig beschlossen
Etliche nicht öffentliche Sitzungsrunden, schlaflose Nächte, hitzige Diskussionen und viel Überzeugungsarbeit auf allen Seiten später gibt es nun eine im Gemeinderat einstimmig beschlossene Lösung. Die Gemeinde Schlierbach springt in die Bresche, erwirbt zwei Drittel des Erdgeschosses und vermietet ihren Anteil an den Krankenpflegeverein weiter. Kostenpunkt für die Gemeinde: etwas über eine Million Euro. Der Krankenpflegeverein erwirbt das restliche Drittel. So bleibt er finanziell handlungsfähig, die Investition der Gemeinde sollte sich Stand heute nach rund 22 Jahren über die Mieteinnahmen wieder amortisiert haben. Außerdem kann die Gemeinde den Betrag vollständig aus ihren Rücklagen entnehmen und muss keine Schulden machen.
Zum Glück könne sich die Gemeinde das leisten, sagt Schlierbachs Bürgermeister Sascha Krötz. Aber: „Ich blicke mit Sorge in die Zukunft.“ Alleine im Landkreis Göppingen seien von 38 Kommunen gerade mal vier schuldenfrei und vonseiten der Politik sei für Senioren zu wenig Geld da. „Gute Bedingungen für Senioren gehören für uns aber genauso dazu wie eine gute Kinderbetreuung.“ Erleichtert zeigt sich auch Jörn Feldsieper, erster Vorsitzender des Krankenpflegevereins. „Hätte die Gemeinde nicht die Initiative ergriffen, wäre das Projekt gescheitert. So ist die Lösung für uns alle eine Win-win-Situation.“