Kirchheim. Wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, sexueller Nötigung, Beleidigung und Verleumdung in Tateinheit mit dem Verbreiten jugendpornografischer Schriften ist gestern im Kirchheimer Amtsgericht ein 56-Jähriger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Weil er bislang nicht vorbestraft war, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Zusätzliche Auflage: Er muss 3 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen - und er hat sich künftig von seiner ehemaligen Pflegetochter fernzuhalten.
Gegenüber dieser Pflegetochter, damals 17 Jahre alt, war er vor zwei Jahren zudringlich geworden. Er hatte sie unsittlich berührt und zu sexuellen Handlungen aufgefordert. Die junge Frau war aber auf nichts eingegangen, hat das auch deutlich kommuniziert und konnte sich schließlich aus der klammernden Umarmung lösen. Knapp sieben Wochen später erst hat sie sich an die Polizei gewandt - nachdem sie sich einer Vertrauensperson an ihrer Schule offenbart hatte. Von anderen Menschen konnte sie keine Hilfe erhalten. Auch ihr eigener Bruder hörte nur zu, ohne ihr durch Rat und Tat zur Seite zu stehen. Er war seinerseits mit der Situation völlig überfordert.
Übelste Whats-App-Botschaften
Nach dem Vorfall ließ der Pflegevater das Mädchen aber nicht in Ruhe, sondern traktierte es mit Whats-App-Botschaften übelster Art. So warf er ihr in drastischen Worten vor, sich zu prostituieren. Er drohte ihr, anzügliche Fotos, die er auf ihrem Handy gefunden hatte, an ihrer Schule publik zu machen. Eines dieser Fotos schickte er auch an eine Verwandte, im Zusammenhang mit einem verleumderischen Text. Immer wieder forderte er von der Pflegetochter im Chat „Kuscheln“, „Liebe“ und „S...“ - worunter er sicher nicht die Abkürzung für Streuselkuchen oder Sesamwecken verstand.
Vor Gericht räumte er nun ein, diese Botschaften geschrieben zu haben, was er angesichts der gespeicherten Chat-Protokolle auch kaum abstreiten konnte. Die Nachrichten und seine Wortwahl hält er inzwischen ebenso für einen Fehler wie die Drohung, die kompromittierenden Fotos in Umlauf zu bringen. Er erklärt es damit, dass er verärgert gewesen sei über das Verhalten der Pflegetochter und dass er sich wegen eines Todesfalls in der Familie im seelischen Ausnahmezustand befunden habe.
Den Vorfall mit dem unsittlichen Berühren spielte er vor Gericht als Missverständnis herunter: Weil sie gemeinsam im Bett lagen und beim Fernsehschauen eingeschlafen seien, könne es sein, dass er mit seiner linken Hand das Mädchen am Oberkörper berührt habe. Da er das als mögliches, auf jeden Fall aber unabsichtliches Berühren bagatellisierte, blieb der heute 19-Jährigen eine Zeugenaussage nicht erspart.
Eigentlich sei das Verhältnis zur Pflegetochter ausgesprochen gut gewesen, sagte der Angeklagte - bis zu dem Tag, an dem er und seine Frau erfahren hätten, dass das Mädchen einen Freund hat. Das Problem: Mit dieser Freundschaft hat sie den Sohn der Pflegeeltern hintergangen, mit dem sie zuvor eine Beziehung geführt hatte.
In ihrer Urteilsbegründung nannte Strafrichterin Anna Härle als Grundproblem der ganzen Geschichte das Konstrukt, dass ein Ehepaar die Freundin des Sohns als Pflegetochter in der Familie aufnimmt: „Da muss man von Anfang an damit rechnen, dass die Freundschaft auseinandergeht und dass daraus dann Loyalitätskonflikte entstehen.“ Insbesondere die junge Frau habe sich dadurch in einer „Sackgasse“ befunden, aus der es kaum mehr einen Ausweg gab. „Plötzlich hatte sie auch noch ihre Pflegeeltern gegen sich.“
Andererseits aber war der Pflegevater an dem Mädchen immer noch stark interessiert - obwohl dieses Interesse kaum mehr der „normalen Vater-Tochter-Beziehung“ entsprach, auf die sich der Angeklagte ständig berief. Richterin Härle sprach von „Psychospielchen der niederträchtigsten Art“. Der Angeklagte habe sich regelrecht auf die Pflegetochter fixiert.
Der Staatsanwalt fasste die Chat-Nachrichten des damals 54-Jährigen wie folgt zusammen: „Das hat mich mehr an das Geschreibsel eines verliebten Teenagers erinnert als an das eines erwachsenen Mannes oder gar eines Pflegevaters.“ Andreas Volz