Jeder muss seinen eigenen Weg finden, um einen Verlust zu bewältigen und zu trauern. Für viele Menschen ist der Ort, an dem der verstorbene Mensch beerdigt ist, ein wichtiger Bestandteil des Prozesses. In Rheinland-Pfalz gibt es nun ein Gesetz, das neue Bestattungsformen wie etwa die Flussbestattung und das Aufbewahren der Urne in den eigenen vier Wänden ermöglicht – vorausgesetzt, der Verstorbene hat diesen Wunsch zu Lebzeiten schriftlich festgelegt und der letzte Hauptwohnsitz ist in Rheinland-Pfalz gewesen.
Auch in Baden-Württemberg sei es höchste Zeit für solch eine Änderung, findet Viktor Merklinger, der Inhaber des Weilheimer Bestattungsunternehmens Jäck. „Jeder trauert anders und jeder soll die Möglichkeit haben, das so zu machen, wie er möchte“, betont er. Dass der Gesetzgeber einen Friedhofszwang festlegt, sei nicht richtig. Er als Bestatter finde es traurig, wenn Hinterbliebenen der Wunsch versagt bleibe, die Asche des Verstorbenen wie in Amerika zu Hause aufzubewahren, um den Abschied persönlicher zu gestalten.
Die Nachfrage nach einer individuelleren Form des Abschieds ist nach den Worten Viktor Merklingers gegeben. Erst vor Kurzem sei ein Ehepaar bei ihm gewesen, das sich danach erkundigt habe, ob ihre Bestattungsvorsorge für den Friedwald entsprechend angepasst werden könnte – sollte es in Baden-Württemberg zu einer Gesetzesänderung kommen. Damit sei das Paar nicht allein: Viele seiner Kunden seien von der Bürokratie in Deutschland genervt und würden sich mehr Freiheiten wünschen. Dass ein Verstorbener nur in dem Ort beigesetzt werden kann, in dem er gelebt hat, sei unnötig kompliziert. Für eine Ausnahme bräuchte es triftige Gründe. Ohne eine zusätzliche Gebühr gehe es obendrein meist nicht. Viktor Merklinger hält es für zeitgemäßer, die Asche der verstorbenen Person an einem Lieblingsort zu verstreuen – sei es im Wald oder auf einem Berg.
Eine Trauerkultur im Wandel
„Es ist längst nicht mehr so, dass Menschen ein Leben lang an ein und demselben Ort wohnen: Wir ziehen um, entwickeln uns weiter, wollen neue Länder kennenlernen“, sagt Viktor Merklinger. Der wöchentliche Gang zum Friedhof lasse sich mit der heutigen Lebensgestaltung nicht mehr vereinbaren. Das zeichne sich bereits bei der Wahl der Gräber ab. So stünden pflegefreie Plätze wie Urnenrasengräber bei der neuen Generation hoch im Kurs. Der Grund sei leicht erklärt: „Sie machen keine Arbeit.“ Einige Kommunen hätten auf den neuen Trend bereits reagiert und würden etwa pflegefreie Baumgräber anbieten. Das komme vieler seiner Kunden entgegen. So würde er oft hören, dass die Grabpflege nach rund zwei Jahren nicht mehr als Bestandteil des Trauerprozesses benötigt werde und der Gang zum Friedhof zur Last werde. Der Bestatter gibt zu bedenken: „20 Jahre sind eine sehr lange Zeit.“
Die Gesellschaft hätte sich geändert und damit auch die Trauerkultur: „Heute braucht es keinen festen Ort zum Trauern mehr“, sagt Viktor Merklinger. Lieber werde auf das Tragen von Erinnerungsstücken zurückgegriffen. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. So gebe es etwa die Möglichkeit, einen Fingerabdruck in einem Schmuckstück verarbeiten zu lassen, sagt der Bestatter. Was er auch immer öfter höre, ist, dass die Menschen keinen Ort zum Trauern brauchen, weil sie etwa die Eltern ohnehin für immer im Herzen tragen würden. Trotz seines Wunschs nach Veränderung ist er der Meinung, dass der Friedhof für ältere Menschen nach wie vor ein wichtiger Ort sein könne, deshalb betont der Bestatter: „Wer auf dem Friedhof beerdigt werden möchte, soll die Möglichkeit haben – wer das nicht möchte, soll aber auch nicht gezwungen werden.“
Die Würde des Verstorbenen schützen
Auch der Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Kirchheim, Christian Tsalos, ist davon überzeugt, dass jeder Mensch seine eigene Art hat, um zu trauern. Er macht jedoch deutlich, dass die festen Regelungen, die auf Friedhöfen gelten, auch dazu dienen würden, die Würde der Verstorbenen zu schützen. Der Kirche sei es darüber hinaus sehr wichtig, dass die Menschen einen Ort zum Trauern, zum Gedenken und zum Abschiednehmen haben. Die bisherige Regelung hält Christian Tsalos daher nach seinen eigenen Worten für ganz passend.
Der Geschäftsführer von Holt Bestattungen in Kirchheim, René Holt, hat gewisse Bedenken gegenüber einer Lockerung der Bestattungsregelungen: „Man muss sich im Vorfeld schon gut überlegen, ob das wirklich das Richtige für einen ist – nicht dass die Entscheidung im Nachhinein bereut wird.“ So würde er schon heute merken, dass beispielsweise bei der Wahl der anonymen Form der Bestattung die Hinterbliebenen im Nachhinein merken würden, dass ihnen das doch nicht reiche. „Eine Änderung ist natürlich nicht mehr möglich, wenn die Asche erst verstreut ist.“
Wird die Urne weitervererbt?
Zunächst höre sich die Idee der neuen Bestattungsformen schön und einfach an, es gebe aber vieles zu berücksichtigen. „Zehn Jahre nach dem Todesfall möchte man die Asche vielleicht doch nicht mehr haben – was macht man dann damit?“ Ob der Enkel die Asche der verstorbenen Oma vererbt bekommen möchte, sei die nächste Frage. Zudem möchte der Bestatter folgenden Denkanstoß geben: „Als Mensch gehörst du niemanden, warum wirst du nach dem Tod das Eigentum von jemandem?“ Für die bisherige Regelung spreche zudem, dass Freunde und Nachbarn auf dem Friedhof ebenfalls die Möglichkeit haben, Abschied zu nehmen. Zu negativ möchte der Bestatter die mögliche Änderung aber nicht darstellen: Dennoch ist er der Meinung, dass das Thema komplexer ist, als es auf den ersten Blick vermuten lässt. Wichtig sei es, mit den Angehörigen abzuklären, ob die Entscheidung für alle das Richtige ist.
Haben Friedhöfe bald ausgedient?
Wenn in Baden-Württemberg neue Bestattungsformen wie „Flussbestattung“ oder „Urne zu Hause“ erlaubt würden, hätte das sicher spürbare Folgen für die Zukunft der Kirchheimer Friedhöfe, teilt die Stadtverwaltung mit. Ein Rückgang der Bestattungszahlen auf den Friedhöfen würde zu einer Kostensteigerung führen. Die Fixkosten, die unabhängig von der Anzahl der Bestattungen bestehen, seien beispielsweise die Pflege und Instandhaltung der Anlagen und Personalkosten. Die Gebühren würden sich künftig auf weniger Bestattungen verteilen und daher tendenziell steigen. „Friedhöfe finanzieren sich größtenteils über die Gebühren für Gräber und Bestattungen“, heißt es aus dem Kirchheimer Rathaus.
Friedhofsflächen könnten zudem überflüssig werden. Langfristig würden die Flächen verkleinert, umgebaut oder teilweise aufgegeben werden. Friedhöfe müssten versuchen, sich breiter aufzustellen, wie etwa mit Gedenkorten, Urnengärten oder naturnahen Flächen, um trotzdem attraktiv zu bleiben. „Zudem ist das historisch gewachsene Friedhofswesen in Deutschland seit ein paar Jahren als immaterielles UNESCO-Kulturerbe anerkannt. Wenn Friedhöfe an Bedeutung verlieren, wäre auch der Erhalt dieses Kulturerbes auf lange Sicht in Gefahr“, gibt die Stadtverwaltung zu bedenken.
Aus Sicht der Stadt Kirchheim erscheint etwa die Kirchheimer Lauter für eine Flussbestattung auf den ersten Blick als nicht geeignet, weil sie schlicht nicht groß genug sei.

