Seit einer Woche ist die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in Betrieb. Und von Anfang an machte die Strecke Schlagzeilen. Am Montag vergangener Woche blieb ein Zug im Albabstiegstunnel bei Ulm stecken, weil sich der Zugführer nicht in das elektronische Zugkontrollsystem ETCS einwählen konnte. Am Wochenende war es eine defekte Weiche direkt hinter dem Albvorlandtunnel, die dazu führte, dass Züge auch über die Geislinger Steige geleitet werden müssen.
Es hagelt Kritik
In den sozialen Medien hagelt es Kritik. „Deutsche Bahn läuft“, ist noch ein harmloser Kommentar auf Facebook. „Auf die Deutsche Bahn ist eben Verlass“, postet ein anderer. Einer empfiehlt: „Fahrt Auto“. Auch auf Twitter zeigten sich die Bahnfahrer nicht erfreut: „Ich habe gut drei Stunden im Zug gewartet. Ich gebe es auf und fahre zurück nach Stuttgart“, schreibt einer, der am Sonntag eigentlich um 8.38 Uhr in Merklingen sein wollte und drei Stunden im Regionalzug in Wendlingen rumstand, weil die Neubaustrecke nicht freigegeben war.
Der Grund für diesen Ärger: Am Wochenende hielt eine defekte Weiche auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm, genauer am Albvorlandtunnel, die Mitarbeiter der Deutschen Bahn auf Trab. Die Weiche befindet sich hinter dem Tunnel bei Kirchheim. Bereits am Sonntag mussten die ICE, die ja über Ulm nach München weiterfahren, zunächst auf der alten Strecke fahren. Deswegen kam es zu Verspätungen. Der Regionalverkehr zwischen Wendlingen und Ulm fiel teilweise aus. Manche Züge fuhren auch nur bis Merklingen. Am Sonntagnachmittag war die Neubaustrecke dann wieder, wenn auch nur eingleisig, befahrbar. Es kam jedoch zu weiteren Störungen oder Ausfällen.
Diese Weiche wird benötigt, weil Züge, die über die Güterzuganbindung auf die Neubaustrecke fahren, sich im Tunnel eigentlich auf der linken und damit auf der falschen Seite bewegen. Denn wie im Autoverkehr auch gilt in Deutschland auf der Schiene, dass rechts gefahren wird. Im Tunnel selbst war aber eine Überleitung in die zweite Röhre aus brandschutztechnischen Gründen nicht möglich, sodass die Züge erst hinter dem Albvorlandtunnel mittels ebenjener Weiche auf das rechte Gleis geleitet werden können.
Die DB teilte am Montag auf Nachfrage der Wendlinger Zeitung mit, dass die Weiche bei Wendlingen neu sei. Bei der Störung handele es sich um einen Herstellerfehler in einem elektronischen Bauteil, das ersetzt werden müsse. „Es gibt keine Zugausfälle. Von Süden fahren die Fernverkehrszüge über die Neubaustrecke, von Stuttgart nach Süden über die alte Strecke. Auch der Regionalverkehr ist über die neue Strecke unterwegs“, schreibt die Bahnsprecherin. Man gehe davon aus, dass die Störung bis Dienstag behoben sein werde.
Auf die Frage, ob die Inbetriebnahme vielleicht etwas vorschnell erfolgt sei, verneint der Nürtinger Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bahnexperten Matthias Gastel entschieden. „Wir brauchen die neue, zusätzliche Infrastruktur angesichts steigender Zugzahlen und der Überlastung des Netzes dringend. Die neue Strecke entlastet die Parallelstrecke über die Geislinger Steige. Insgesamt steht den Fahrgästen ein ausgeweitetes Angebot zur Verfügung“, lautete Gastels Antwort.
Vorteile überwiegen
Ein Bedienfehler durch einen Lokführer und eine Weichenstörung können auch auf einer länger erprobten Strecke auftreten. Die Wahrscheinlichkeit für solche Vorfälle sollte jedoch so gering wie möglich sein. „Daher habe ich in meiner Rolle als Aufsichtsratsmitglied der DB Netz AG einige kritische Fragen an den Vorstand gestellt“, so Gastel weiter.
Hätte man die Inbetriebnahme nicht um ein halbes Jahr aufschieben und in der Zeit die Abläufe und Ausrüstung auf Herz und Nieren prüfen können? „Zwei unabhängig voneinander betriebene Strecken zwischen Ulm und Plochingen/Stuttgart bieten große Vorteile. Gibt es auf einer der Strecken eine Störung, muss der Verkehr nicht mehr wie bisher eingestellt werden, sondern kann umgeleitet werden“, sagt Matthias Gastel. Die neue Strecke biete zudem Platz für eine bessere Trennung zwischen langsamen Güter- und schnellen Fernzügen. Auf diese Vorzüge zu warten und eine milliardenteure neue Infrastruktur ungenutzt liegen zu lassen, wäre nicht zu begründen gewesen.
Die neue Strecke sei vor dem Start intensiver getestet worden als vor Jahren die Neubaustrecke München–Berlin. Auch die gestörte Weiche sei im Vorlaufbetrieb viele, viele Male gestellt worden. „Manche Fehler treten erst nach der Inbetriebnahme auf, da manche Abläufe oder die Funktionalität nicht in einer Testphase vollständig abgebildet werden können. Für erklärungsbedürftig halte ich die Frage, weshalb die Weichenstörung durch Siemens und die DB nicht schneller behoben werden konnte.“
Die neue Strecke ziehe eine riesige Aufmerksamkeit auf sich. Dies habe auch damit zu tun, dass man in Deutschland beim erforderlichen Ausbau der Schienenwege trotz unstrittig hohen Bedarfs kaum vorankomme. „Ich war in den ersten Betriebstagen schon einige Male mit dem ICE und mit dem Regionalzug, verbunden mit Aufenthalten in Merklingen, unterwegs. Dabei lief für die Reisenden alles rund“, berichtet der Abgeordnete aus eigenen Erfahrungen.
Wie die DB mitteilte, sei die Störung inzwischen vollständig behoben worden.