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Demokratiekonferenz in Nürtingen: Wie kann die Digitalisierung gestaltet werden?

Konferenz Vor zwei Jahren hat sich der Landkreis zugesagt, Demokratie und Toleranz zu fördern. Bei der zweiten Digitalisierungskonferenz diskutierten am Mittwoch in der Stadthalle K3N über 80 Teilnehmer. Von Nicole Mohn

Schöne neue Welt: Das dachten viele, als das World Wide Web 1993 für jedermann seine virtuellen Tore zu Information, Teilhabe und Austausch öffnete. Seither schreitet die Digitalisierung rasant voran. Kaum ein Lebensbereich, in dem sie nicht zu finden ist – sei es im Berufsalltag, beim Arztbesuch oder selbst im Gottesdienst.

Auch für die Demokratie birgt die Digitalisierung große Herausforderungen. In den bislang 29 geförderten Projekten blieb das Thema jedoch unterrepräsentiert, meint die Leiterin des Aktionsprogramms für Demokratie und Toleranz, Mariam Koridze. „Dabei war der Wunsch nach einer Veranstaltung dazu groß“, berichtet die Integrationsbeauftragte des Landkreises Esslingen. Grund genug, den Fokus der zweiten Demokratiekonferenz nun auf die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen und lokale Handlungsmöglichkeiten zu richten.

Für Landrat Heinz Eininger ist es wichtiger denn je, sich mit der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft zu befassen. „Der Prozess des Wandels wird durch die Digitalisierung sehr viel schneller als in der Vergangenheit in die Fläche gebracht.“ Damit Schritt zu halten und umzugehen, stelle die Menschen vor Herausforderungen, so der Kreis-Chef.

 

 

Während der Pandemie handelte die Exekutive

Mit Sorge beobachtet er die zunehmende Polarisierung, das Vertrauen in Demokratie und Staat sinke. „Eine Studie zeigt, dass 70 Prozent der Deutschen vom Staat überfordert sind“, berichtet Eininger. Noch ganz anders sah dies während der Corona-Pandemie aus: Damals habe die Exekutive gehandelt, die Gewaltenteilung habe gegriffen. Dies sei von der Bevölkerung in weiten Teilen akzeptiert worden. Den nun sichtbaren Vertrauensverlust führt der Landrat darauf zurück, dass Versprechen gemacht wurden, die von der Exekutive nicht umgesetzt werden können, weil personelle und finanzielle Ressourcen fehlen. „Politik gegen Adam Riese wird nicht zum Ziel führen“, so Eininger.

Dass die Digitalisierung Verwaltungen schneller machen oder gar fehlendes Personal auffangen kann, davon ist der Landrat nicht überzeugt. Zum einen seien die wenigsten der 275 Prozesse für die Bürgerinnen und Bürger überhaupt relevant. Zum anderen belasten „überbordende Bürokratie und Standards“ die Vorgänge, plädiert Eininger für ein „Weniger ist mehr“.

Zugleich setze die Digitalisierung die Mitarbeiter zunehmend unter Druck: „Bei einer Anfrage hat man nicht mehr einen halben Tag Zeit, um zu antworten“, stellt er fest. Immer häufiger stoße man so an die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit.

In vielen Bereichen habe sich die Digitalisierung nicht als der Heilsbringer erwiesen, als der sie anfangs betrachtet wurde, stellte auch Thorsten Thiel fest, der für die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zweiten Demokratiekonferenz gestern den Impulsvortrag hielt. Thiel ist Professor für Demokratieförderung und Digitalpolitik an der Universität Erfurt.

Steigende Teilhabe und direkte Partizipation hatten sich viele durch das weltweite Netz und seine Ausprägungen erhofft. Doch wie es um die Teilhabe stehe, wenn statt des einst nötigen Gangs zu einer Demonstration nur noch ein „Click“ gesetzt werden müsse, stellte der Politikwissenschaftler als Frage in den Raum. Er fragte auch, wie es um die Information und die Inklusivität des öffentlichen Diskurses stehe, wenn Filter und Algorithmen den Nutzerinnen und Nutzern nur noch Inhalte zeigten, mit denen er sich ohnehin täglich befasse. Zudem geschehe dies auf Plattformen, hinter denen Unternehmen mit ausgewiesenen Gewinnabsichten stünden.

 

 

In Dialogräumen wurden Themen bearbeitet

Einfluss habe die Digitalisierung auch auf die Parteienlandschaft, so Thiel. „Um Opposition zu üben, braucht es keine Organisationen“, beobachtet er eine zunehmende Entinstitutionalisierung. Vielmehr nutze man die Tools, die Plattformen wie Facebook zur Verfügung stellten. Gleichzeitig sei die „schweigende Mehrheit“ anhand ihrer Daten und Nutzungsverhalten immer besser zu identifizieren. „Aber ist es demokratisch, wenn es am Verhalten ablesbar ist?“, warf er als Frage in den Raum, um die Komplexität von Einfluss der Digitalisierung auf die Demokratie zu unterstreichen.

Regulierungsversuche gebe es einige, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch seitens der Europäischen Union. „Aber es reicht nicht, dass der Staat das regelt“, so Thiel. Es gehe darum, ermächtigende Strukturen zu fördern. Die Digitalisierung müsse gestaltet werden, damit möglichst alle von ihren Potenzialen profitieren.

Wie das konkret aussehen könnte, damit befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft nach der Mittagspause in vier Dialogräumen. Zusammen mit Experten ging es dabei unter anderem um Themen wie den Umgang mit Hate-Speech und Fake-News, um digitale Werkzeuge für Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene oder die Chancengleichheit im Digitalisierungsprozess.