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Der Astronom, Roßwälden und die Hexen

Heimatgeschichte Vor gut 450 Jahren wurde Johannes Kepler geboren, seine Mutter starb vor 400 Jahren – wohl in Roßwälden. Er hat sie mehrmals besucht. Auch im Zuge eines Hexenprozesses. Von Jürgen Schäfer

Hier wird er gewesen sein. Zu Besuch, als Gast. Auf diesem kleinen Kirchhof, der damals der Friedhof von Roßwälden war. Bestimmt auch in der gar nicht kleinen Roßwälder Dorfkirche, die hinter uns aufragt. Dort war sein Schwager Pfarrer. Im Pfarrhaus wird er die knarzenden Dielen und Treppen betreten haben, zu seiner Schwester und ihrer Familie. Und dort wird auch seine Mutter noch ihr letztes halbes Jahr gewohnt haben. Wahrscheinlich hat die Schwester die Mutter zu sich geholt, als die alte, zahnlose, verbitterte Frau ihren Hexenprozess überstanden hatte.

Nachweislich war Johannes Kepler in Roßwälden, sagt der Geschichtsinteressierte Walter Zwicker. Und weil auch die Mutter des großen Astronomen mutmaßlich hier, auf dem einstigen kleinen Friedhof, begraben wurde, beginnt für Roßwälden ein Kepler-Jahr. Eigentlich sind es gleich zwei Gedenkjahre, die ineinanderfließen. 2021 jährte sich Johannes Keplers Geburtstag zum 450. Mal. Wir stehen hier an seinem Geburtstag, dem 27. Dezember. Am 13. April jährt sich der Todestag seiner Mutter. Das ist dann 400 Jahre her.

Was mögen die Roßwälder über den Besucher Johannes Kepler erfahren haben? Er blieb ja sicher nicht ungesehen. Dass er ein Gelehrter war, wahrscheinlich. Dass er den Lauf der Planeten bestimmt hat? Vielleicht nicht. Das passte nicht zum Weltbild der Kirche. Die Leute hatten auch andere Sorgen. Der Dreißigjährige Krieg zog ins Land.

Walter Zwicker ist der Kenner für die Verbindung Keplers mit Roßwälden. Er hat herausgefunden, dass Keplers Mutter hier begraben sein muss. Und es gab noch andere Berührungspunkte des Astronomen mit dem Raum Göppingen, sagt Zwicker. Er erzählt: Schon früh ist Kepler nach Adelberg gekommen. Seine Familie war nicht arm, der Bub sollte Pfarrer werden. Er war in der Klosterschule in Adelberg, im Kloster Maulbronn, im Stift in Tübingen. Aber dann standen theologische Differenzen der Anstellung als Pfarrer entgegen. Er wurde ein Mathematicus, das Rüstzeug hatte er von seiner Ausbildung. Kepler ging nach Österreich. In der Steiermark brauchte man ihn als Mathematiker.

 

Als man ihr die Folter­werkzeuge zeigte, erschrak sie nicht. Das galt als Beweis.
Walter Zwicker
Hobbyhistoriker aus Roßwälden

 

Und dann, was für eine Karriere: Der Bürgersohn aus dem protestantischen Württemberg wurde kaiserlicher Mathematiker im katholischen Prag. Später war er dann auch Landes-Mathematiker in Linz, wo er unter anderem Oberösterreich kartografierte. Nicht unwesentlich für diesen Aufstieg: Kepler wurde durch ein Buch bekannt, dessen Titel seinen Forschergeist verriet: „Das Weltgeheimnis“.  Später sollte er es lüften.

Ein Jahr seines Gelehrtenlebens sollte er nochmal in Württemberg verbringen – auch in Roßwälden. Da war die Familie seiner Schwester eben von Heumaden hierher gezogen, und der neue Pfarrer Georg Binder war eigentlich auch ein Roßwälder – er war hier geboren. Sein Vater war auch schon Pfarrer hier, und dies sage und schreibe 40 Jahre lang.

Hier und in Güglingen am Neckar, wo Katharina Kepler in Kerkerhaft saß, sorgte der Sohn für sie, die Tochter auch. In Tübingen, bei alten Freunden, machte sich Johannes Kepler schlau, wie man die Mutter verteidigen konnte. Und das übernahm er dann selbst.

Der Astronom und die Hexe – so hat Ulinka Rublack in ihrem Buch über Kepler benannt, was damals ablief: Wissenschaft und Hexenwahn trafen aufeinander, ein berühmter Sohn musste die Mutter vor der abergläubischen Welt beschützen. Aber die Wissenschaft war noch mit allerlei Weltdeutung behaftet. Der Astronom Kepler war auch ein Astrologe, er hat dem Feldherrn Wallenstein ein berühmt gewordenes Horoskop gestellt, und die Menschen waren anfällig, hinter Geschehnissen verborgene Wahrheiten zu sehen. So wurde ein Komet rückblickend als Vorbote des Dreißigjährigen Kriegs gedeutet.

Kepler selbst, so schilderte es der Heimatforscher Eberhard Walz aus der Keplerstadt Leonberg, habe in einem Manuskript unbedacht über „saftlose alte Frauen“, die im Kosmos „nächtlich auf Böcken und Gablen“ unterwegs seien, fantasiert. Seine Mutter komme in dem Buch als „kräutersammelnde Zauberin und Geisterseherin“ vor. Es sollte ihn bitter reuen, schrieb Walz.

Aber das war’s nicht, was Katharina Kepler vors Hexengericht brachte, sondern eine Krankheitsgeschichte. Weil die Kräutersammlerin sich mit Arznei beschäftigte, einer Freundin einmal einen bitteren Trank gab und diese Jahre später krank wurde, klagte deren Familie sie an. Ein „Hexentrank“ sei das gewesen.

Wie sie davonkam: „Als man ihr die Folterwerkzeuge zeigte, erschrak sie nicht“, sagt Zwicker. Das galt als Beweis, dass sie keine Hexe war. Zwicker glaubt, dass es die scharfe Beweisführung ihres Sohnes sowie dessen Ansehen und Verbindungen waren, die ihr das Leben retteten. Im Bezirk Leonberg, wo Katharina Kepler gewohnt hatte, fielen 1615/16 sechs Menschen dem Hexenwahn zum Opfer.

Nach dem Tod seiner Mutter kam Johannes Kepler noch zweimal nach Roßwälden, sagt Zwicker. Beim zweiten Mal von Göppingen aus. Dort suchte er Heilung von einem Hautausschlag am Göppinger Sauerbrunnen.

 

Ein Zufall stand am Anfang der Recherche

Fährte Bei einer Dorfführung kam der Stein ins Rollen. Walter Zwicker stand am alten Friedhof hinter der Roßwälder Dorfkirche, und eine Frau fragte: Hier ist also  die Mutter von Johannes Kepler gestorben? Das hatte sie in einem Buch gelesen.

Autoren Walter Zwicker war das neu. Das Buch kannte er nicht, und er glaubt auch nicht, dass der Autor das wusste. Zwicker ging der Fährte nach. Im Kirchlichen Landesarchiv wusste man nicht, wo die Mutter gestorben ist, sagt er. Ebenso wenig in Keplers Geburtsstadt Weil der Stadt, wo es eine Kepler-Gesellschaft gibt. „Es gibt keinen Eintrag in einem Sterbe­register.“

Kirchenbücher Zwicker hat in den Kirchenbüchern von Roßwälden nachgeschaut, eine Exkursion in die Sütter­linschrift. Leider: „Es fehlt genau die Liste der Todesfälle in dieser Zeit.“ Für 1634, als Keplers Schwager Georg Binder starb, existiert sie. Der Pfarrer starb an der Attacke von durch­ziehenden Soldaten. Die verwitwete Pfarrfrau Margarete zog dann weg und heiratete erneut. js