Esslingen. Die evangelische Landeskirche Württemberg hat bei einer Pressekonferenz in Stuttgart den Start einer neuen Studie vorgestellt. Diese soll mögliche Missbrauchsfälle aufarbeiten. Nach Dutzenden Hinweisen auf Missbrauchsfälle in ihren kirchlichen Internaten vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren sollen für die Studie Betroffene befragt und Strukturen untersucht werden.
Namentlich erwähnt wird auch der CVJM Esslingen. Hier soll es - neben den evangelischen Seminaren in Blaubeuren und Maulbronn sowie beim Hymnus-Chor - Vorfälle gegeben haben. Doch die, die hier als mögliche Betroffene hervorgehoben werden, wussten gar nichts von der geplanten Studie. „Wir wussten auch nichts von einer Pressekonferenz“, sagt Kai Grünhaupt, Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim CVJM Esslingen. „Vom Stil her ist das doch sehr ungewöhnlich“, formuliert er vorsichtig, was er vom Vorgehen der Landeskirche hält, mögliche Betroffene nicht zu informieren und erst recht nicht in die Vorbereitungen einzubeziehen. „Das hat uns doch sehr getroffen“, sagt Gabriele Deutschmann, Leitende Referentin, über die Stimmungslage beim CVJM Esslingen. „Wir haben mit dem Thema Missbrauch kein Problem und sind sehr gut in der Lage, damit auch umzugehen. Seit Jahren ist sexualisierte Gewalt ein wichtiges Thema für uns“, stellt Deutschmann klar.
So habe der Esslinger CVJM als einer der ersten Vereine ein umfassendes Schutz- und Handlungskonzept vorgelegt, das viele Bereiche bis hin zur Sprache unter die Lupe nimmt, ergänzt Grünhaupt. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ebenso die Ehrenamtlichen, seien sehr sensibilisiert, es gebe zudem eine enge Zusammenarbeit mit dem Esslinger Verein „Wildwasser“. „Wir sind schon lange sehr aktiv bei diesem Thema und stehen doch jetzt am Pranger. Ich denke, dass wir das nicht verdient haben“, fasst Gabriele Deutschmann den Unmut zusammen. Bislang lägen ihnen auch noch keine Fakten zu möglichen Missbrauchsfällen vor. „Zuerst muss sich klären, ob wir betroffen sind. Falls ja, arbeiten wir natürlich konstruktiv zusammen“, unterstreicht sie. Kai Grünhaupt hat der Forschungsgruppe bereits angeboten, das Archiv des CVJM Esslingen zu öffnen.
Inzwischen hat es mit Vertretern der evangelischen Landeskirche intensive Gespräche gegeben, die in einer gemeinsamen Erklärung gemündet sind. In dem Papier, das auf den Homepages von CVJM und Landeskirche abrufbar ist, räumt die Kirche ein, „dass im Zusammenhang mit ihrer Pressemitteilung beziehungsweise Pressekonferenz in der Außenwahrnehmung ein missverständliches Bild vom CVJM Esslingen entstehen konnte“. Die von der Landeskirche beauftragte Aufarbeitungsstudie beziehe sich ausschließlich auf die Aufklärung vermuteter Fälle sexuellen Missbrauchs in den 1950er- und 1960er-Jahren. „Die Bezüge nach Esslingen müssen weiter untersucht werden. Hinweise auf aktuelle Fälle liegen nicht vor“, heißt es weiter. Ausdrücklich entschuldigt sich die Landeskirche, dass die namentlich genannten Institutionen „nicht beziehungsweise unzureichend in die konkreten Pläne der Aufarbeitungsstudie einbezogen wurden“. Weiter wird bestätigt, dass der CVJM Esslingen „schon sehr früh ein sehr differenziertes eigenes Schutzkonzept entwickelt und mit den Fachbehörden abgesprochen hat“.
Mit der auf drei Jahre angelegten Untersuchung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm möchte die Landeskirche ihr Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt ausbauen. Es müsse aus strukturellen Fehlern gelernt werden, teilte die Kirche mit. Nach einem Aufruf waren vor wenigen Jahren knapp 30 Meldungen zu sexuellen Übergriffen bei der Stabsstelle für Prävention der Landeskirche eingegangen. Die meisten gingen nach Angaben der Kirche auf denselben mutmaßlichen Täter zurück, einen inzwischen gestorbenen Industriellen und Mäzen, der auch ein Zeltlager geleitet haben soll. Petra Pauli