Nett soll er sein, fachlich tadellos und möglichst ganz nah und rund um die Uhr erreichbar. Eine wohnortnahe ärztliche Versorgung wünscht sich fast jeder. Doch die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Dass es nicht nur in ländlichen Gebieten an Hausärztinnen und -ärzten fehlt, zeigt die Lage im Kreis Esslingen. Was sie auch zeigt: Beim Mangel gibt es große geografische Unterschiede, wie die Zahl der nicht besetzten Praxen verdeutlicht. Während im Mittelbereich Kirchheim nur zwei der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) festgelegten Sitze brach liegen, sind es in Esslingen 25,5.
Wie kommt es zu einer solchen Schieflage? Zum einen spielt die Struktur der Praxen eine große Rolle. Dort, wo es gelingt, größere Gemeinschaftspraxen oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ) anzusiedeln, ist die Versorgung in aller Regel besser. Der Grund: Nachwuchsmangel und der wachsende Wunsch unter Medizinern nach flexiblen Arbeitszeiten und Teilzeit. Häufig sind solche Zahlen aber auch nur eine Momentaufnahme. „Das kann Zufall sein“, sagt Dr. Dominique Scheuermann, die Leiterin des Esslinger Gesundheitsamtes. Sie weiß: Eine Gemeinschaftspraxis scheitert schnell, wenn es menschlich oder fachlich nicht harmoniert. Im Moment ist die Einzelpraxis mit 60 Prozent hier im Kreis noch immer das am meisten verbreitete Modell.
Scheuermann ist Mitglied der Kommunalen Gesundheitskonferenz im Kreis Esslingen, einem breit aufgestellten Fachgremium, dem neben Medizinern, Berufs- und Wohlfahrtsverbänden auch Vertreter von Kommunen angehören. Die Konferenz kümmert sich seit Jahren schwerpunktmäßig um das brennendste Thema: die hausärztliche Versorgung. Vor allem in den Rathäusern blickt man beunruhigt in die Zukunft, und das zurecht. Zwar stammen die jüngsten Zahlen von 2019, also vor Beginn der Pandemie. Auch haben sich damals nur etwa die Hälfte der mehr als 300 Hausärztinnen und Hausärzte im Kreis Esslingen an der Umfrage beteiligt. Doch das Signal ist alarmierend: 38 Prozent der befragten Praxen wollten innerhalb der kommenden fünf Jahre aufgeben. Mehr als die Hälfte davon gab an, zum Zeitpunkt der Befragung noch keinen Nachfolger gefunden zu haben. Im vergangenen Jahr waren mehr als ein Drittel der niedergelassenen Ärzte hier im Kreis älter als 60 Jahre.
Was also tun? Klar ist: Die Praxis, die in jeder Gemeinde zu Fuß zu erreichen ist, wird irgendwann Geschichte sein. Die Modelle der Zukunft heißen Portalpraxen an Kliniken, Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren oder Telemedizin. Bund und KV arbeiten daran. „Doch leider nicht schnell genug“, sagt Scheuermann. Im Sozialausschuss des Kreistags pocht man nun auf einen intensiveren Austausch zwischen Kassenärzten und Kommunen. Bei einer der nächsten Bürgermeisterversammlungen sollen Vertreter der KV mit am Tisch sitzen und das Thema beleuchten. Die sehen sich in der Rolle des Mangelverwalters und wollen auch die Städte und Gemeinden bei der Suche nach Ärztenachwuchs mehr in die Pflicht nehmen: etwa bei der Unterstützung durch geeignete Räume und Immobilien, bei besserer Kinderbetreuung oder auch Freizeitangeboten. Die Botschaft dahinter: Wer für junge Mediziner attraktiv sein will, muss auch etwas bieten. Für viele ist jedoch klar: „Der Einfluss der Kommunen hat enge Grenzen“, sagt Owens Bürgermeisterin Verena Grötzinger als Vertreterin der Freien Wähler im Kreistag. Auch die KV müsse flexibler werden bei der Festlegung von Kassensitzen.
Für viele Bürgervertreter ist das Thema längst keines mehr, das der Markt regelt, sondern ein durch und durch politisches. Plochingens Bürgermeister Frank Buß (Freie Wähler) und SPD-Kreisrätin Sonja Spohn fordern deshalb mehr Mitspracherecht in der Kommunalen Gesundheitskonferenz. Ein Wunsch, der in der Kreisverwaltung allerdings auf breite Ablehnung stößt. Landrat Heinz Eininger, kraft Amtes Vorsitzender der Konferenz, fürchtet nach eigenen Worten eine Aushöhlung des Fachgremiums. „Politik muss Expertise auch aushalten und unterm Strich bewerten“, meint Eininger. „Wenn wir hier auf einer ganz anderen Ebene diskutieren, dann wäre das nicht klug.“