Mehr als 600 Jahre alt ist die Tradition der Göppinger Mineralwasserquellen. In früheren Jahrhunderten gründete sich darauf der Ruf der Stadt als florierendem Badeort und Heilquelle (siehe Infobox) Doch auch im 20. Jahrhundert war der Bodenschatz „Sauerwasser“ der Stolz der Stadt. Der frühere Göppinger Oberbürgermeister Herbert König soll es als „das Lebenselixier der Göppinger“ bezeichnet haben. Bei Frisch-Auf-Spielen sendete das Fernsehen später die Marke des Werbepartners ins Land hinaus. Es gab ab Ende der 1990er-Jahre vom Göppinger Wasser sogar eine „Gourmet“-Linie für die Gastronomie. Der Mineralbrunnen war mehrmals auf der Feinschmeckermesse Intergastra vertreten. Kurzum: Der Sprudel war neben dem Handball-Team und Märklin eines der großen Markenzeichen der Stadt. Menschen in ganz Deutschland verbanden mit dem Namen Göppingen auch das Sauerwasser.
Davon ist nicht viel übrig geblieben. Dabei war das Wasser auch einmal ein Wirtschaftsfaktor: Der Brunnenbetrieb zog 1992 an den neuen Standort in Jebenhausen um und war auf Wachstumskurs. Noch 1997 machte die Brunnen-Union St. Christophorus, zu der der Göppinger Brunnen gehörte, mit 260 Mitarbeitern und 60 verschiedenen Produkten noch 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Ein Drittel davon in Göppingen. 2007 investierte die Firma, inzwischen unter dem Na
jkj men „Aqua Römer“ und mit einer neuen Quelle in Mainhardt, einen zweistelligen Millionenbetrag – ein Bekenntnis zum Standort Göppingen. Doch Ende 2019 schloss die Firma den Göppinger Betrieb sang- und klanglos. Begründung: Die Schüttung reiche für einen wirtschaftlichen Betrieb nicht. Das Göppinger Wasser ist aus den Regalen verschwunden, die Erinnerung an die Sauerwassertradition verblasst. Nur wenige scheinen sich daran zu stören.
„Völlig unverständlich“ findet das Dr. Anton Hegele. Der Geologe, Paläontologe und ehemalige Leiter des Naturkunde-Museums kennt sich aus mit dem Göppinger Wasser. 1997 leitete er das Buchprojekt „Göppinger Sauerwasser: Sprudelnde Quellen – heilende Bäder“. Er sei erstaunt, dass der Abschied keinen Aufschrei auslöste und dass offenbar „kein Bewusstsein“ mehr für diesen Bodenschatz vorhanden ist. „Das hängt vielleicht auch mit der gesunkenen Wertschätzung von Wasser zusammen, das man für 19 Cent beim Discounter kaufen kann“, vermutet er.
Unter OB Hans Haller wollte sich die Stadt Göppingen sogar den Zusatznamen „Sauerwasserstadt“ geben, erinnert sich Hegele. Die Tradition und das Recht des kostenlosen Wasserzapfens für Jedermann wurde gehegt. Wehe, wenn ein Brunnen zeitweilig verunreinigt war, gesperrt und gereinigt werden musste, was auch früher zuweilen vorkam. „Da waren die Leute empört.“ Bei Führungen zum Thema Mineralwasser waren regelmäßig 100 Menschen dabei. „Jeder hatte seine Lieblingsquelle im Stadtgebiet und jeder konnte eine Sauerwasser-Geschichte erzählen.“ Tatsächlich habe jeder Brunnen eine eigene Zusammensetzung und einen eigenen Geschmack. „Abgefüllt für den Verkauf wurde eine Mischung“, berichtet der Geologe. Die Jebenhäuser Schlossquelle habe eine große Schüttung gehabt. Der Mineralwasser-Experte sagt: „Ich war entsetzt, dass eine solche Tradition und ein guter Standortfaktor so mir nichts, dir nichts aufgegeben wurden.“ Er glaubt, es brauche auch ein Bewusstsein für das, was eine Stadt zu bieten hat – „nicht nur, so lange es nützlich ist.“
Dabei ist es ist nicht so, dass die Stadt Göppingen die öffentlichen Anlagen vernachlässigt: 1992 wurde der Brunnen in der Karlstraße eröffnet, 2003 eine Zapfstelle am Marktplatz, der aber nur ein kurzes Leben beschieden war. Die Zapfanlage beim Brunnenhäusle in der Oberhofenanlage wurde 2020 instand gesetzt und wieder aktiviert. Gleichzeitig versuchte die Stadt mit einer aufwendigen Überbohrung des Brunnens am Freibad die Probleme mit Verunreinigungen in den Griff zu bekommen. Der war in den 30erJahren als Industriebrunnen für die umliegenden Betriebe gegründet worden, damit sie kostenloses Wasser für die Arbeiter holen konnten. Doch die Überbohrung brachte neue Probleme: Zuerst wies das Wasser eine starke Trübung auf. Mittlerweile fließt es klarer – aber nur noch ein geringer Teil der bisherigen Menge. Der historische Brunnenpavillon im Freibadpark kann nicht mehr bedient werden.
Das „Vichy“ aus Göppingen
Quellen Wahrscheinlich waren die Sauerbrunnenquellen auf Göppinger Gebiet schon den früheren Siedlern bekannt. Das erste schriftliche Dokument über den „Swalbrunen zu Gepingen“ stammt aber vom 5. März 1404. Göppingen gilt bei Heimatforschern als schon damals vielbesuchtes und vornehmes, einträgliches Bad, das später auch Graf Eberhard III. öfter besuchte.
Badeort Aus dem Jahr 1475 datiert ein schriftlicher Beleg über ein Badhaus, ein Zeichen dafür, dass Göppingen spätestens seit dieser Zeit Badeort genannt werden durfte.
Heilwirkung Herzog Christoph von Württemberg ließ um 1550 in der Stadt Göppingen und in ihrem Gesundbrunnen eine am französischen Hof erlittene Vergiftung durch einen Badekur-Aufenthalt behandeln. Das Bad erhielt großen Zulauf. Es bürgerte sich der Name Christophsbad ein. Das imposante Badhaus des Christophsbads, das Heinrich Schickhardt Anfang des 17. Jahrhunderts errichtete, zeugt noch heute von dieser Bedeutung.
Vichy Noch Anfang des 20. Jahrhunderts bescheinigte ein Gutachten dem Heilwasser aus dem Brunnen bei der Ulmer Straße ähnliche Wirkungen wie dem weltbekannten Vichy-Wasser – es sollte gegen allerlei Beschwerden helfen, von Magenkatarrh bis Gicht. aw