Kaum hat ihm seine Affenmama Kala als Baby das Leben gerettet, findet sich der kleine Tarzan einige Jahre später inmitten einer Horde von laut brüllenden und kreischenden Affen.
Für Maurice Kißling kein Problem, inzwischen weiß der Zehnjährige aus Zell ganz genau, was ihn in seiner ersten Szene des Tarzan-Musicals im Stuttgarter Stage-Palladium-Theater erwartet. Eine aufgewühlte neugierige Affenbande, die ihn von sämtlichen Seiten laufend, springend aufrecht oder auf allen vieren und nicht zuletzt aus luftiger Höhe frei schwingend willkommen heißt. Doch plötzlich kippt die Stimmung – Gorilla-Anführer Kerchak kommt mit richtig mieser Laune um die Ecke. Flugs schnappt er sich den Kleinen und schmeißt ihn auf den Boden. Und Tarzan? Der wird nun von den Affen herumgewirbelt und immer wieder an der Liane hängend in die Luft katapultiert, bis er ganz oben hängen bleibt und laut „Maaamaaa“ schreit. Als Tarzan dann auf dem Boden Terk erblickt, ruft er ihm zu: „Wenn du so ein Crack bist, dann hilf mir mal runter“. Worauf ihm sein Affenfreund launig erwidert: „Ach, du hängst fest, ich dachte, du hängst ab?“
Nur eine von vielen Szenen, die Maurice mit Sicherheit vor seinem nunmehr zehnten Auftritt, zwanzig stehen ihm noch bevor, schon zigmal geübt hat, bis auch diese Darbietung so sitzt, wie es sein soll.
Und dass es dem aufgeweckten Zeller einen Riesenspaß macht, sieht man ihm auf der Bühne durchaus an. Einfach klasse, mit welcher Souveränität, Konzentration und Durchhaltevermögen er sich unter den erwachsenen Schauspielern behauptet, ein Naturtalent, der in seiner Rolle das kindliche Freche mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit auslebt.
Bevor es soweit ist, kommt das übliche Procedere. Etwa eineinhalb Stunden vor der Show, geht es in die Maske. Dort zwirbelt ihm Ambra aus seinen Haaren kleine Kringel, die sie allesamt mit dünnen Klammern feststeckt. Danach wird dem Kopf eine seidenstrumpfartige Haube übergestülpt, alles verkabelt, das minikleine Mikro auf der Stirn positioniert und die dynamisch wellige Echthaarperücke übergezogen – ein kurzer Schütteltest, fertig. Theaterschminke nein, Bodypainting ja. Nur am Oberkörper, an den Armen und Beinen, so ein echter Tarzan muss ja schließlich ein paar Blessuren zeigen.
Danach geht’s in den Übungsraum: Dehnen, Warmmachen, Hüpfen, Krabbeln, Verrenken – wie ein Primat, nimmt Maurice im Sprungschritt auf allen Vieren die Halle ein, kontrolliert dabei im Spiegel seine eigene Haltung. Die Brust wird herausgestreckt und mit den Fäusten darauf getrommelt – ganz im Stil von Tarzan. Passt, sein Jugendtrainer ist zufrieden. Am Schluss singt Maurice zur Klavierbegleitung die Stücke „Du braucht einen Freund“ und „Warum? Wieso?“ – auch das wuppt er, Stimme und Text sitzen.
Gesang, Schauspiel und nicht zuletzt sportliche Darbietungen sind entscheidend, was die Rolle im Dschungel ausmacht. Insofern wurde schon beim Casting im Januar 2023 genau hingeschaut, wer all diese Voraussetzungen mitbringt. So wie bei Maurice, dem seine Eltern damit einen großen Wunsch erfüllt haben. „Ich wollte irgendwann mal im Fernsehen kommen“, verrät der Viertklässler, der laut seiner Mama Monique Kißling „erst mit viereinhalb Jahren sprechen lernte und viel Zeit bei der Logopädie verbrachte.“
Zusätzlich zur Grundschule ist der Zehnjährige fünf Mal die Woche im Turnzentrum Süßen anzutreffen, betreibt dort wie er sagt „auf dem Boden, an den Ringen und am Barren Kunstturnen und Akrobatik.“ Davor war er etwa drei Jahre lang beim Verein für Leibesübungen (VfL) in Kirchheim. „Ich wollte mehr Geräte und Herausforderungen“, erklärt der sportliche Grundschüler, warum er 2020 nach Süßen wechselte.
Doch als er die Zusage von Stuttgart bekam, habe er erstmal „etwas Bedenkzeit“ gebraucht. „Ich habe in meinem Zimmer überlegt, ob es schwer ist, den Tarzan zu spielen“, verrät Maurice und kam schließlich zu der Erkenntnis: „In der Akrobatik und im Turnen bin ich cool, außerdem singe ich ja noch im Chor“. Zum Glück bereite ihm auch das Auswendiglernen seiner Texte keine Probleme. Sogar sein kleiner Bruder Maxim habe ihn dazu bestärkt, den Tarzan zu spielen. Überhaupt, steht die ganze Familie hinter ihm, schließlich muss ihn ja immer jemand ins Stage Palladium fahren und mit allem Drum und Dran, gehen da schon sieben bis acht Stunden ins Land.
Info Am 28. Februar sowie am 10. März ist Maurice wieder als Tarzan zu sehen.