Kirche
Der neue Dekan glaubt an die „Queerness“ in der Bibel

Klaus-Peter Lüdke ist kein gewöhnlicher Kirchenmann. Der neue evangelische Dekan des Kirchenbezirks Esslingen legt die Bibel ungewohnt aus.

Klaus-Peter Lüdke ist neuer Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Esslingen. Zu den zentalen Themen der kommenden Jahre zählen auch Fusionen. Foto: Roberto Bulgrin

Kaum im Amt und schon ein gefragter Mann: Einen Interviewtermin mit Klaus-Peter Lüdke zu bekommen, ist angesichts des vollen Terminkalenders schwierig. Im Gespräch äußert sich der 56-jährige neue Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Esslingen zu Queerness, gleichgeschlechtlichen Trauungen, schmerzhaftem Strukturwandel und den Esslinger Fahrradwegen.

 

Herr Lüdke, Sie sind seit 1. September im Amt. Sind Sie schon in Esslingen angekommen?

Das Ankommen mit dem Fahrrad ist etwas schwierig. Esslingen ist eine wunderschöne Stadt – nur die Radwege sind weniger schön. Ich habe hier schon 300 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt. Aber die Auszeichnungen sind nicht die besten, manche Strecken etwa hoch zum Jägerhaus sind für Radler gefährlich, und mit Google Maps bin ich schon ein paar Mal im finsteren Tal gelandet.

 

Aber im finsteren Tal fürchtet man doch laut Psalm kein Unglück. Sehen Sie angesichts möglicher Aufgaben kirchlicher Immobilien Unglück auf sich zukommen?

Da stehen wir vor schmerzhaften Prozessen. Doch alle Entscheidungen werden in Absprache mit den Kirchengemeinden, transparent und nachvollziehbar getroffen. Im Rahmen des kirchlichen Programms Oikos haben sich Architekten während des laufenden Jahres alle kirchlichen Immobilien wie Gemeindehäuser, Kindergärten oder Gotteshäuser angeschaut. Anfang 2026 bekommen wir eine Aufschlüsselung darüber, welches Gebäude welchen Finanzbedarf hat. Dann entscheiden wir, welche Immobilien weiter mit Kirchensteuern finanziert werden und welche nicht. Alte, denkmalgeschützte Kirchen bleiben selbstverständlich erhalten.

 

Kann schon gesagt werden, welche Gebäude nicht gehalten werden können?

Im Rahmen des Programms wird entschieden, welche Gebäude gehalten werden und welche nicht. Aber trennen werden wir uns vor allem von Immobilien, die nicht mehr genutzt werden oder von denen es mehrere in unmittelbarer Nähe gibt. Dabei entscheiden wir auch, wie es mit dem Gemeindehaus Blarer weitergeht.

 

Ist die geplante Fusion mit dem Kirchenbezirk Bernhausen solch ein schmerzhafter Prozess?

Bis 2030 wird die Dekan-Stelle in Bernhausen zugunsten einer Pfarrstelle wegfallen. Die evangelische Landessynode hat auch empfohlen, die Kirchenbezirke Kirchheim und Nürtingen mit Esslingen und Bernhausen zu verschmelzen. Dazu werden wir nächstes Jahr Gespräche führen. Dann würde auch in diesen Städten ein Dekanat abgegeben. Nachdenken müsste man darüber, ob nicht zuerst Kirchheim und Nürtingen zusammengeführt werden.

 

Von den 29,5 Pfarrstellen im Kreis Esslingen sollen 20,75 Prozent bis zum Jahr 2030 wegfallen. Gefährdet das die Seelsorge?

Durch die Schaffung größerer Einheiten, Spezialisierungen, neue Aufgabenverteilungen werden wir das hinbekommen. Die Zeiten von „Ein Pfarrer – eine Gemeinde – ein Kirchturm“ sind vorbei.

 

Das klingt sehr nach Mangelverwaltung. Warum haben Sie sich dennoch um Stelle als Esslinger Dekan beworben?

Weil es mir Spaß macht, Verwaltungsstrukturen zu vereinfachen, und hier herrscht in der evangelischen Kirche ein großer Nachholbedarf.

 

Sie sind aber nicht nur Theologe, sondern auch Buchautor?

Ich bin beides. Mein nächstes Buch erscheint am 30. September. Es geht um die Josefsgeschichte.

 

Ist die nicht auch durch Thomas Mann schon ausreichend beleuchtet worden?

Ich habe einen neuen Ansatz. In der hebräischen Version der Bibel gibt es Belege dafür, dass Josef eine Frau war. Ich spreche in meinem Buch auch nur von Zafenat-Paneach, der ägyptischen Version des Namens. In der hebräischen Schrift ist von einem schönen Mann die Rede. Mit dieser Beschreibung sind immer queere Menschen gemeint. Und sein Vater Jakob schenkt seinem Kind laut hebräischer Bibel ein Prinzessinnenkleid. Martin Luther spricht in seiner Bibelübersetzung etwas ausweichend von einem bunten Rock. Alle elf Brüder von Josef haben auch israelische Stämme gegründet. Es gibt aber keinen Stamm Josef, weil Stammesgründungen nur männlichen Nachkommen zugeschrieben wurden.

 

Sie haben zudem ein Buch über Queerness geschrieben, das auch auf privaten Erfahrungen im persönlichen Umfeld beruht.

Wir haben ein queeres Kind großgezogen und sind damals als Familie sehr offen damit umgegangen und haben unzählige Gespräche mit Mitgliedern der Kirchengemeinde Altensteig, in der meine Ehefrau und ich als Pfarrer tätig waren, geführt. Die Reaktionen reichten von Verständnis bis hin zur Ablehnung. Doch das mussten wir eben aushalten. Es war aber nie schwer, zu unserem Kind zu stehen.

 

Aber die evangelische Kirche fremdelt noch immer mit solchen Themen. Die Hürden für gleichgeschlechtliche Trauungen sind sehr hoch?

Ja. Drei Viertel des Kirchengemeinderates müssen zustimmen, damit gleichgeschlechtliche Segnungen möglich sind. Das Evangelische Bekenntnis unterscheidet nicht zwischen Segnung und Trauung. Das sind in der Tat hohe Hürden. Dabei haben Gott und Jesus queere Menschen nie ausgeschlossen. Ich hoffe, dass meine Kirche diese Diskriminierung endlich beendet.

 

Sehen Sie eine Chance für Veränderungen in der Kirche?

Das hängt auch von der Besetzung der Landessynode und den Menschen in den Gremien vor Ort ab. Am ersten Advent, am Sonntag, 30. November, ist Kirchenwahl. Auch mit Blick auf solche Fragestellungen ist es wichtig, dass die Wahlbeteiligung sehr hoch ist.

 

Verändern muss sich die evangelische Kirche aber auch mit Blick auf die Missbrauchsvorwürfe.

Im Kirchenbezirk haben wir ein Konzept gegen sexualisierte Gewalt. Aber das allein reicht nicht aus. Wir müssen unseren Mitarbeitenden noch viel mehr Schulungen anbieten. Schulungen darüber, wie Missbrauch verhindert, erkannt und damit umgegangen werden soll.

 

Wie reagiert die evangelische Kirche auf Vorwürfe dieser Art?

Jeder Vorwurf wird von einem unabhängigen Gremium, dem Oberkirchenrat, geprüft, der nicht in die lokalen Strukturen, in denen der Verdacht aufgekommen ist, eingebunden ist. Sollte sich ein Verdacht bestätigen, kommt es zu einer Freistellung vom Dienst oder vom Ehrenamt. Der Opferschutz hat höchste Priorität.