Er trägt einen Ring im Ohr und einen am Finger. Ungewöhnlich für einen katholischen Amtsträger. Nein, gar nicht, meint Volker Weber, der neue Dekan im Landkreis Esslingen. Das Schmuckstück am Finger stammt aus einem Projekt für Menschen mit Suchtproblemen in Südamerika, die aus Nussschalen Ringe anfertigen. Er trage ihn als Zeichen der Solidarität. Denn Volker Weber möchte als Geistlicher nahe bei den Menschen sein. Dennoch hat der Seelsorger der Kirchengemeinden von Neckartenzlingen und Grötzingen am 1. August zusätzlich ein Amt angetreten, das mehr Bürokratie bedeutet: Der bisherige Stellvertreter ist mit einer Amtszeit von sieben Jahren zum Leiter des Dekanats Esslingen-Nürtingen bestellt worden.
Den geistlichen Weg hat der 50-Jährige auf Umwegen beschritten. Volker Weber war zwar von frühester Jugend an in das Leben der katholischen Gemeinde seiner Geburtsstadt Schwäbisch Gmünd eingebunden, dennoch zog ihn zunächst das Kapital an. Er begann eine Beamtenlaufbahn beim Finanzamt, aber der Zivildienst in einem Krankenhaus der Untermarchtaler Schwestern brachte die Wende. Ein zwei Jahre altes Kind, das an Weihnachten geboren worden war, verstarb in der Karwoche. Die Parallelen zur biblischen Leidensgeschichte von Jesus und die Verzweiflung der Eltern hätten ihn Kraft im Glauben suchen lassen und ihn in seiner Berufung bestärkt, erinnert sich Volker Weber. Nach dieser Erfahrung entschloss er sich zum Theologie-Studium, wurde Pfarrer, denn er wollte kein Schreibtischtäter mehr sein.
Allerdings bringt auch das neue Amt des Dekans viel Bürokratie am Schreibtisch mit sich. Doch das schreckt Volker Weber nicht: In dieser Tätigkeit könne er vielmehr seine in der Finanzverwaltung erlernten Fähigkeiten einbringen. Zudem wird er weiterhin als Pfarrer tätig sein. Als er 2009 in Neckartenzlingen anfing, umfasste sein Zuständigkeitsbereich 6600 Katholiken. Heute sind es noch 6000 Gläubige. Im Dekanat Esslingen-Nürtingen wurden 2013 noch 116 470 Katholiken gezählt, 2018 waren es 115 314. Ein Schwund, den sich Volker Weber auch mit der nachlassenden Bindung der Menschen an die Kirchen vor Ort erklärt. Dabei würden gerade aus dem Engagement in der heimischen Kirchengemeinde etwa in der kirchlichen Jugendarbeit pastorale Beziehungen erwachsen.
Ein weiterer Grund für den Rückgang sei die Darstellung von Kirche in den Medien, wo sie nicht selten auf die Missbrauchsskandale und deren fehlende Aufarbeitung reduziert werde. Die Missbrauchsfälle würden meist aus den 1960er und 1970er Jahren stammen, aber vielfach als aktuelles Problem empfunden, weil Anzeigen erst jetzt erfolgen. Trotz aller Fehler, die bei der Aufarbeitung gemacht worden seien, seien aber eine Sensibilisierung eingetreten und wirksame Strukturen zur Vorbeugung geschaffen worden. Jede Kirchengemeinde habe ein Präventionskonzept erarbeitet. Hauptamtliche pastorale Mitarbeiter würden regelmäßig geschult und müssten alle fünf Jahre ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.
Oft bleiben Stühle leer
Trotz aller Negativschlagzeilen fühlt sich Weber in der katholischen Kirche und auch in „seiner“ Kirche vor Ort zu Hause: Stolz präsentiert er das 2021 renovierte Gotteshaus in Neckartenzlingen, wo die Kirchenbänke durch eine lockere Bestuhlung im „elliptischen Halbkreis“ ersetzt wurden.
Oft freilich bleiben viele Stühle leer. Einen Reformstau in der Institution Kirche als möglichen Grund für Kirchenaustritte sieht auch Volker Weber. Der Zölibat, meint er, sei mit der Ehelosigkeit Jesu begründet und erst im zwölften Jahrhundert verpflichtend eingeführt worden. Doch im Laufe der Geschichte habe sich viel verändert und es sei zu fragen, ob diese Vorschrift noch zeitgemäß sei. Das gelte auch für die Ordination von Frauen: „Ich denke schon, dass das Pfarramt geöffnet werden sollte.“ Die Reformbewegung des Synodalen Weges habe sich dafür ausgesprochen, doch die Entscheidung werde in Rom getroffen. Aber das sei keine Sache, die in den nächsten Jahren passieren werde. In der Kirche werde die Zeit in Ewigkeiten gemessen.
So lange möchte er aber nicht warten. Kirche vor Ort möchte Volker Weber auch als Dekan stärken: Sie könne die Menschen für den Glauben gewinnen. Er versucht es nicht zuletzt mit Aktionen wie dem Projekt Türöffner. Zusammen mit der Caritas werde günstiger Wohnraum für sozial Benachteiligte gesucht. Es hätten schon einige Vermittlungen geklappt. Der neue Dekan steht für eine Kirche, die nahe am Menschen ist. Zum Schluss demonstriert er die Beleuchtung im Gotteshaus in Neckartenzlingen. Sie kann je nach Anlass für einen Gottesdienst in verschiedenen Farben leuchten. Es ist ein Bild mit Symbolkraft: Volker Weber sieht es als seine Aufgabe an, einen bunten lebendigen Glauben zu vertreten.