Ohrenbetäubend ist der Lärm, als sich der gelbe Hubschrauber knapp über den Baumwipfeln der Lichtung nähert. Rund 20 Meter unterhalb des Helikopters schwingt ein Kübel an langen Stahlseilen. Der Hubschrauber sinkt genau so weit in Richtung Boden, dass der Stahlkübel auf dem Waldboden aufsetzt und bleibt in der Luft stehen. Sofort setzt sich ein Radlader in Bewegung, der eine gewaltige Schaufel Kalkgemisch in den Kübel schüttet. Keine zehn Sekunden dauert dieses „Auftanken“. Kaum ist der Kübel voll, steigt der Hubschrauber wieder über die Baumkronen auf und zieht seine Bahnen.
Alle zwei bis drei Minuten - etwa 150 Mal pro Tag - wiederholt sich dieses Schauspiel, während im Schurwald die sogenannte Bodenschutzkalkung läuft. „Der Kübel fasst eine Tonne, pro Hektar bringen wir aber drei Tonnen Kalk aus“, erklärt Elke Rimmele-Mohl, die für das Forstamt des Landkreises Esslingen die Einsatzleitung für die Aktion innehat. „Da kann man sich ausrechnen, wie oft wir für die insgesamt 500 Hektar in die Luft gehen müssen.“
Seit Montag wird in Baltmannsweiler gekalkt. Grund dafür ist eine Übersäuerung des Bodens. „Ein großer Teil des Problems stammt noch aus Altlasten der 70er- und 80er-Jahre“, sagt Helmut Glowania, der Revierförster für Baltmannsweiler und Aichwald. Schwefel- und Stickstoffeinlagerungen durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, durch Verkehr, Industrie und Landwirtschaft haben den Wäldern über die Jahrzehnte zugesetzt. „Der Wald steht unter Stress, sowohl durch die langen Dürreperioden als auch durch die Übersäuerung.“
Mit dem Dolomitkalk sollen dem Waldboden Nährstoffe zurückgegeben und der pH-Wert des Erdreiches verbessert werden. Der Kalk wird entweder mit Hubschraubern oder mithilfe eines Gebläses verteilt, das auf einem Unimog angebracht ist. Für den Schurwald, so Rimmele-Mohl, bietet sich aber nur die Variante mit dem Hubschrauber an. „Zum einen ist die Landschaft im Schurwald sehr unruhig und wild - es gibt Bergrücken, die von tiefen Klingen durchzogen werden. Da kommen die Unimogs schlichtweg nicht durch.“ Der zweite Grund ist das sogenannte Grüne Besenmoos, eine gefährdete Moosart. „Das darf nur von oben bekalkt werden.“
Zwar gibt es die Aktion landesweit schon seit 1983, der Kreis Esslingen ist in diesem Jahr aber das erste Mal dabei. Von 6 500 Hektar Staatswald müssen im Kreis insgesamt 3 700 mit einem Kalk- beziehungsweise Kalk-Holzasche-Gemisch behandelt werden. „Wir steigen jetzt in diesem Jahr aber erst einmal mit 500 Hektar ein, um das durchzuexerzieren und Erfahrungen zu sammeln“, sagt Rimmele-Mohl. In den kommenden Jahren werden dann die restlichen Gebiete gekalkt. Billig ist das Ganze nicht. Rund 400 Euro kostet jeder Hektar, der gekalkt werden muss. Insgesamt 200 000 Euro werden in den kommenden Wochen in den Schurwald geblasen. Dem Kreis selbst entstünden aber kaum Kosten. 45 Prozent der Bodenschutzkalkung werden von der Europäischen Union gefördert, den Rest übernimmt das Land.
Der Hubschrauber steigt morgens gegen 8 Uhr das erste Mal auf und fliegt bis 18 Uhr fast ohne Unterbrechung. „Unser Pilot landet eigentlich nur, wenn er Benzin oder eine Pause braucht“, berichtet Tobias Kienzler. Kienzler ist ebenfalls Hubschrauberpilot und ist bei dem Einsatz auf dem Schurwald sozusagen das Bodenpersonal des Neuensteiner Dienstleisters Helix, der seit 30 Jahren solche Kalkungen durchführt. „Unser Pilot Achim Widmann hat 20 000 Flugstunden hinter sich, der weiß genau, was er tut“, sagt Kienzler. „Die Gebiete, die gekalkt werden müssen, sind genau vorgegeben und in ein Gerät im Cockpit einprogrammiert.“
Um die Staubbelastung für die Bevölkerung zu reduzieren, wird der Kalk nicht knochentrocken in den Wald gestreut. „Wir nennen das erdfeucht“, erklärt die Einsatzleiterin. „Dadurch wird der Kalk auch nicht so sehr verweht, wenn es etwas mehr Wind gibt.“ Um zu gewährleisten, dass der Kalk nicht zusammenklebt und die ideale Feuchtigkeit hat, darf er nicht zu lange gelagert werden. „Wir bekommen meist morgens und nachmittags eine Fuhre Kalk direkt auf den Hubschrauberlandeplatz geliefert“, sagt Kienzler.
Bis heute wird in Baltmannsweiler gekalkt, an den Wegen hängt rot-weißes Absperrband mit Warnungen wie „Betreten verboten - Lebensgefahr“. Laut Forstamt werden diese Absperrungen auch kontrolliert. „Das ist einfach eine Vorsichtsmaßnahme“, sagt Rimmele-Mohl. Zwar sei der Kalk nicht gesundheitsschädlich für Mensch oder Tier, „aber es kann natürlich passieren, dass der Radlader einen Stein vom Waldboden mit in den Kübel lädt oder dass der Kalk sich in Platten löst und zu Boden fällt.“ Wenn die Bodenkalkung in Baltmannsweiler beendet ist, geht sie in anderen Teilen des Reviers weiter. „In der nächsten Woche wird am Schlierbach in der Nähe von Hohengehren gekalkt“, sagt Rimmele-Mohl. „In der Woche darauf ist der Aichwald an der Reihe.“ Auf dem Plan stehen auch Schanbach und Krummhardt.
„Wenn man bedenkt, dass die Bodenschutzkalkung dem Wald und damit auch den Menschen gut tut, ist die Lärmbelästigung durch den Hubschrauber vielleicht etwas einfacher zu ertragen“, so die Einsatzleiterin. „Das ist eben der Charakter der Nachhaltigkeit: Man tut etwas für die nachfolgenden Generationen.“