Suchtprävention
Der steinige Weg aus der Sucht

Beim Präventions-Projekt „Future for all“ erzählen frühere Abhängige an Schulen im Landkreis ihre Geschichte. Jetzt auch am Kirchheimer Schlossgymnasium. 

Carsten Hepner und Anne Otlinghaus berichten beim Präventionsprojekt "Future for all" am Kirchheimer Schlossgymnasium über ihre eigene Drogenvergangenheit. Foto: Carsten Riedl

Gespannt sitzen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7c des Kirchheimer Schlossgymnasiums in ihrem Klassenzimmer. Ihr Stundenplan sieht an diesem Tag keine Deutsch- oder Matheaufgaben vor, stattdessen haben sie Besuch von zwei Mitgliedern der „Wilden Bühne“ Stuttgart, eine Nachsorgeeinrichtung, die ehemals abhängige Menschen künstlerisch und sozialpädagogisch fördert. Zum umfassenden Angebot zählt im Präventionsbereich das Theaterprojekt „Future for all“, das für die Jahrgansstufe sieben an allen Schularten im Landkreis Esslingen ausgerichtet ist. Die Wilde Bühne ist hier Kooperationspartner. 

Anne Otlinghaus und Carsten Hepner sind Mitglieder der Wilden Bühne, ausgebildet in der Theaterpädagogik und im Rahmen des Projekts „Future for all“ als Referenten in Schulen unterwegs. Die Siebtklässler des Schlossgymnasiums lernen die persönlichen Lebensgeschichten der beiden und damit ihre Drogenvergangenheit kennen. Beide haben es geschafft und sind heute clean. In Theaterworkshops studieren die Schülerinnen und Schüler verschiedene reale Situationen ein, etwa eine Mutprobe. „Ziel der Übungen ist es, die Jugendlichen zu sensibilisieren. Dass sie lernen, Grenzen zu setzen und ihr Selbstbewusstsein dahingehend zu stärken, in schwierigen Situationen ‘Nein’ sagen zu können“, erklärt Carsten Hepner. Zum Schulprojekt zählt zudem ein Elternabend der siebten Klassen zum Thema Suchtprävention. Seit rund zehn Jahren bestehe die Kooperation des Schlossgymnasiums mit der Wilden Bühne Stuttgart im Rahmen eines ganzheitlichen Präventionsprogramms, erklärt Klassenlehrerin Ann-Kathrin Tausch. 

Falsche Entscheidungen 

Sowohl Carsten Hepner, als auch Anne Otlinghaus stammen aus stabilen, normalen Familienverhältnissen. Trotzdem rutschten sie über mehrere Jahre in die Drogensucht ab. „Es trifft Menschen aus allen Schichten“, betont Anne Otlinghaus. Sucht könne vieles sein: „Das reicht vom Glücksspiel, über die Magersucht bis hin zur Drogensucht.“ Sowohl sie als auch Carsten Hepner starteten im Jugendalter mit Alkohol und Zigaretten. Man habe „erwachsener und cooler sein wollen, etwas ausprobieren“, berichten beide von den Anfängen. 

Die nächste Stufe war das Kiffen, erst gelegentlich, dann regelmäßig: „Die entspannende Wirkung hat mir gefallen, das wollte ich dann öfter“, erinnert sich Carsten Hepner, „bis nach der Bundeswehr war ich Gelegenheitskiffer, ich dachte, ich kann jederzeit damit aufhören, was nicht so war“, erzählt Hepner, der sich im Kindes- und Jugendalter als sehr wild und unruhig schildert, als jemand, der sich ständig selbst überschätzte. Auch Anne Otlinghaus berichtet, wie sie oft das Maß nicht fand, etwa beim Alkoholkonsum. Durch das Kiffen sei sie anfangs aufgedreht gewesen, „ich war gut drauf, das fand ich gut. Es wurde dann immer mehr. Ich wollte einfach den Kick.“ Beide versuchten, ihre Sucht vor ihrem Umfeld zu verheimlichen, was irgendwann nicht mehr gelang.

Immer tiefer in der Sucht drin

Die Spirale richtig abwärts ging es bei Carsten Hepner mit dem Konsum von Heroin und dann Kokain, das zu seiner Hauptdroge wurde und ihn letztlich fast seine Existenz kostete – beruflich, finanziell und was das private Umfeld anging. Der ständige Bedarf an Nachschub, ein Teufelskreis: „Ein Opiat wirkt sofort, der Körper verlangt dann danach. Nach etwa einem halben Jahr habe ich täglich Kokain konsumiert“, erzählt Hepner der Klasse. Therapien, Entzug und Rückfälle gingen miteinander einher. Erst der Aufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik, der Besuch einer Selbsthilfegruppe und der Anschluss an die Wilde Bühne Stuttgart brachten letztlich die Wende.

Auch Anne Otlinghaus, die ebenfalls bereits eine Therapie hinter sich hatte, kam über einen Bekannten zum Kokain: „Nach fünf Jahren war mir das Kiffen zu langweilig, ich wollte etwas Neues ausprobieren“, erzählt die 33-Jährige, die eine Ausbildung zur Grafikdesignerin gemacht hatte, rückblickend. Ein Wendepunkt sei für sie in ihrer Sucht letztlich der Besuch eines Festivals gewesen, inklusive des Konsums verschiedener Drogen: „Ich habe gedacht, ich verrecke.“ Danach sei ihr klar geworden, dass sich etwas ändern müsse, wenn sie ihr Leben nichts aufs Spiel setzen wolle: „Alleine hätte ich es aber nicht geschafft.“ Eine erneute Therapie half Anne Otlinghaus aus der Sucht. Seit dreieinhalb Jahren ist sie Mitglied der Wilden Bühne Stuttgart und engagiert sich in der Prävention, ist ausgebildete Yogalehrerin und Theatertherapeutin und bietet ein sporttherapeutisches Angebot für Menschen mit Behinderung an: „Das ist eine gute Kombination und macht mir viel Spaß.“

„Das war wirklich interessant, die persönlichen Geschichten zu hören und was sie alles durchgemacht haben“, findet der 13-jährige Maxi. Dadurch denke man selbst besser darüber nach, falls man in eine Situation komme, in der man entscheiden müsse: mache ich mit oder lasse ich es besser sein. 

Die „Wilde Bühne“ Stuttgart

Die „Wilde Bühne“ Stuttgart ist ein Forum für Menschen mit Suchterfahrung, das die ehemals Abhängigen künstlerisch und sozialpädagogisch fördert.

Zum Angebot zählen unter anderem Theaterstücke zur Sucht­ und Gewaltprävention für unterschiedliche Zielgruppen. Das ehrenamtliche Spielerensemble besteht aus ehemaligen Drogenabhängigen.

Ein weiterer Ansatz sind innovative Präventions-Projekte an Schulen wie „Future for all“ im Landkreis Esslingen. Die Wilde Bühne ist hier Kooperationspartner. Die Idee wurde 1999 gemeinsam mit der Polizeidirektion Esslingen entwickelt, das Projekt ist bundesweit einmalig und mehrfach ausgezeichnet.

Zum Programm gehören auch professionelle Theaterkurse in stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe. Gefördert wird die Wilde Bühne von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg. eis