Was für den Wald gilt, gilt für die Obstwiese erst recht: So wie man hineinruft, so schallt es heraus - zumindest bei Dieter Schneider. Die gute Seele, der beim Nabu Köngen-Wendlingen angesiedelten Artenschutzgruppe Steinkauz, tippt mit einem Hörstift auf einen Code in seinem Naturbuch. Gleich darauf ertönt der Ruf des Steinkauzes, der über die Äcker, Hecken und Wiesen hinweg über die weite Flur hallt. Es ist 19 Uhr. Die beste Zeit, um die selten gewordene Eulenart zu erleben. Um Dieter Schneider herum wird es mucksmäuschenstill. Nur das Brummen der Hochspannungsleitungen durchbricht die Ruhe am Wendlinger Ortsrand. Gespannt spitzen über 40 Besucher, die der Rundgang mit dem Experten in die Natur gelockt hat, die Ohren.
Ihr Schweigen wird belohnt. Hell und klar schallt das schaurig-schöne „Kujau, Kujau“, des koboldhaften Vogels durch die Baumreihen. Kaum eine Eule ist in der Kulturgeschichte so tief verwurzelt, wie der Steinkauz. Das kaum 200 Gramm schwere Tier wurde lange als Totenvogel verfolgt. So nagelte man ihn mancherorts an die Scheunentore, um Blitz und Feuer abzuwehren. Die alten Griechen allerdings adelten ihn laut Philip Rößler schon weit vor Christi Geburt zum Wappenvogel der Glücksgöttin Pallas Athene. „Der Steinkauz ziert die altgriechische Drachme und die heutige griechische Euromünze“, erzählt der Vertreter der Artenschutzgruppe.
Während die Gruppe um Dieter Schneider weiterzieht, durchbricht ein zartes „Gugh, Gugh“ die Nacht. Wo der Laie kaum einen Unterschied ausmacht, horcht der Fachmann freudig auf. „Das ist der Vogel aus der Brutröhre 28, der hat sich stimmlich schon immer etwas schwer getan“, weiß der Gruppenvorsitzende und erklärt: „Die ‚Guhg‘-Rufe sollen anderen Männchen die Grenzen des eigenen Reviers aufzeigen und gleichzeitig zum Weibchen Kontakt herstellen.“ Die Balzzeit wird noch bis Anfang April dauern. Auf sie folgt dann, nach Angabe des Nabu-Bundesverbandes, Mitte April bis Ende Mai die Eiablage. „Bis die Jungen schlüpfen, ziehen“, Philip Rößler zufolge, „etwa 30 Tage ins Land. Nach circa 15 Tagen unternehmen sie die ersten Flugversuche.“ Daher sollten Wiesenbesitzer, die ein Steinkauz-Nest auf ihrem Grundstück entdecken, um die betreffenden Stämme das Gras kurz halten. „Fallen die Jungen auf den Boden, können sie so zum Stamm zurücklaufen und sich an der Rinde mit Schnabel und Krallen nach oben ziehen.“
Die Sterblichkeit unter den Jungvögeln ist im ersten Jahr mit 70 Prozent besonders hoch. „2017 hatten wir 110 Eier von 33 Brutpaaren, die in Dettingen, Jesingen, Köngen, Nabern, Notzingen, Oberboihingen, Wendlingen und Lindorf angesiedelt sind“, erzählt Jens Polzien. „66 Jungtiere sind durchgekommen.“ Die größten Verluste werden durch Beutegreifer wie Marder oder andere Greifvögel verursacht, berichtet das Artenschutzgruppen-Mitglied. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der drastische Bestandsrückgang eine Folge von Lebensraumveränderungen ist. „Obstbaumverluste durch die Landwirtschaft, eine intensive Freizeitnutzung und der kommunale Flächenverbrauch, in dessen Zuge auch in Wendlingen und Köngen Baugebiete geschaffen werden, machen den Tieren zu schaffen“, gibt Gerhard Deuschle beim Rundgang zu bedenken.
Damit sich die Bestände von Steinkauz und Co. nachhaltig erholen können, braucht es intakte Streuobstwiesen und Grünbrücken, über die die Vögel von einem Biotop zum anderen wandern, und sich so ausbreiten können, wie das Nabu-Mitglied betont. Und während das Kauz-Männchen unermüdlich nach dem Weibchen ruft, zerstreut sich im Angesicht der Dunkelheit bei so manchem Teilnehmer das letzte Fünkchen Hoffnung, eines der Tiere aus nächster Nähe zu sehen. Mitzuerleben, wie das 22 Zentimeter kleine Tier die Flügel spreizt und am Boden eine Maus greift, ist ein faszinierendes Spektakel. Vor allem, wenn man bedenkt, dass bei Eulen einer der beiden Gehörgänge tiefer sitzt. „Auch wenn ihr Sehvermögen bei Nacht eingeschränkt ist, können sie so - anders als der Mensch - den Standort der Beute nicht nur horizontal, sondern auch vertikal treffsicher bestimmen“, erklärt Philip Rößler.
Gegen 21 Uhr neigt sich der Rundgang dem Ende zu. Durch die Verhörung, wie das Vorspielen von Ruflauten mit Antwort genannt wird, hat der ein oder andere Teilnehmer sogar erfahren, dass auf seiner Wiese ein Steinkauz sitzt. Viele wollen nun mehr für die Tiere, von denen es in ganz Baden-Württemberg nur noch 700 bis 800 Exemplare gibt, mehr auf ihrem Grundstück tun. Für Dieter Schneider der sich seit 1976 für die auf der Roten Liste verzeichnete Art stark macht, ist das ein großer Erfolg.
Wer die Tiere hautnah erleben will kann am Freitag, 15. Juni, um 18 Uhr zur öffentlichen Beringung zum Köngener Friedhof kommen.