Der süßliche und doch herbe Duft schmiegt sich um den Besucher. Klar, hier ist man von Wein umgeben. Einst war das anders, vor vielen, vielen Jahren, als im Gebäude nahe der Ecke von Kirchheimer und Plochinger Straße noch die Lindenapotheke anzutreffen war. „Das war eine richtig alte Apotheke“, sagt Peter Roder. Deshalb hat er von dieser Vorgeschichte auch Zitate bewahrt, als er hier seine „Karaffe“, das Weinhaus an der Linde, eröffnete. Ein paar seiner Köstlichkeiten lagern deshalb noch in stilvollen Apotheken-Regalen.
Seine anderen trinkbaren Schätze liegen in einem Aufbewahrungssystem, das er höchstselbst aus Bordeaux-Kisten gezimmert hat. Hier in der „Karaffe“ trägt alles Roders Handschrift. Und doch begann die Geschichte seiner Weinhandlung bereits ziemlich genau vor 30 Jahren in der Schlossgartenstraße 10. Das waren 30 Jahre, in denen sich vieles gewandelt hat – und vieles nicht.
Weintrinker sind in der Regel nette Leute.
Peter Roder
Vielleicht muss man noch ein bisschen weiter ausholen, um die Geschichte von Peter Roder und dem Wein ganz zu erzählen. Richtig stilecht in der Toskana sei er zum „Weinfreak“ geworden, bekennt der Oberensinger. „Ich bin mit dem Motorrad aufs Weingut eines Freundes gefahren“, sagt er. Chianti, San Giovese, später freilich Bordeaux, das waren die Tropfen, die ihn in die Welt des Weins entführten.
Dann eröffnete er 1994 den Laden am Schlossberg. Arnulf Schmied war sein Kompagnon, bis der 2005 ausstieg. Irgendwie scheint Roder mit dem Weinhaus seine Leidenschaft zum Geschäft gemacht zu haben – und damit sich das immer tragen konnte, arbeitete er bis vor kurzem noch halbtags als Sozialarbeiter bei der Caritas. Seit April ist er in Rente. Die „Karaffe“ aber gibt er nicht auf: „Solange ich gesund bin und Spaß habe – und die Kunden kommen – mache ich weiter.“
Ein einziges Zucker- oder Weinschlecken? Na ja. „Das ist mehr oder weniger eine Ein-Mann-Firma“, sagt er. Trotz seiner Mini-Jobber. Einkäufer, Ausfahrer, Probierer, Verkoster, Werbemann und Putzer: „Ich bin alles in einem, anders geht es heute nicht mehr.“
Bis die Zunge wund wird
Ist das berufliche Weinschlotzen dann wenigstens immer ein erfüllter Traum? Peter Roder lächelt. Er besucht Winzer. Guckt sich Betriebe an. Forscht. Und geht natürlich auf Messen. Wie zuletzt in Düsseldorf: „Jeden Tag 100 Weine probieren, das ist Arbeit“, erklärt er. Da tun die Füße weh, und die Zunge ist wund. Für Peter Roder gehört es dazu. Denn er sagt: „Weinkauf ist Vertrauenssache.“ In seinen Laden kommt kein Rebensaft, den er nicht probiert hat, garantiert er. Er treffe für seine Kunden die Vorauswahl.
Jenes Vertrauen der Kunden ist für so einen kleinen Betrieb essenziell. Gerade heute. Gute Qualität jenseits der Discounter-Ware auch zu erschwinglichen Preisen, das ist seine Gratwanderung. Schließlich plagen viele Menschen auch Gedanken an Inflation, Krieg oder Trump und Co.: Viele hätten zwar noch Geld im Portemonnaie, aber sie treibe die Frage um, was denn komme, weiß Roder. Denn freilich könne man auf Wein verzichten oder daran sparen, wenn die Welt- und Wirtschaftslage die Konsumlaune verhagele. Dabei kann der Weinfachmann auf einen Stamm lokaler Kunden bauen. Sie kommen aus Nürtingen und Umgebung, aus Kirchheim, aus Wendlingen, von den Fildern. Und manche, die heute noch kommen, gehörten vor drei Jahrzehnten schon zu den ersten Kunden: „Manche damals dann noch mit Kinderwagen“, erinnert er sich lächelnd. In so einem Laden wie dem seinen, da wachsen Beziehungen, erzählt Roder. Er kennt den Geschmack vieler. Und er weiß zu seinem Glück aus langer Erfahrung: „Weintrinker sind in der Regel nette Leute.“
Doch neben diesen Begegnungen mit Menschen schätzt Roder an seinem Geschäft auch das lebenslange Lernen. Er liest und spricht immer wieder über Wein. „Es gibt immer wieder neue Impulse.“ So entstand diese Leidenschaft für sein Geschäft.
Wehren muss er sich dabei auch gegen die Konkurrenz von Internet, Großhandel und Discounter: „Kundentreue ist nicht durchgängig da.“ Gerade die jüngere Klientel kaufe immer mehr per Laptop-Klick vom Sofa aus. Bei Riesenversendern gebe es Rabatte, Geschenke und mehr. Und wie steuert er dagegen? Indem er Beziehungen schafft. Und indem bei ihm zum Beispiel die Flaschen der Angebote immer offen zum Probieren sind. Dazu gibt es unter anderem auch einen Gläserverleih, Ware auf Kommission für Events.
Weinkonsum geht zurück
Und natürlich verkostet er seinen Wein auch. Dann strömt nicht nur der, sondern auch das Publikum. So wie im November bei seiner Jubiläumsweinprobe in der Kreuzkirche. 200 Menschen kamen, um bei ihm und seinen fünf Gastausstellern einen Querschnitt durch Europa zu versuchen. „Es war ein super Samstag“, schwärmt er.
Was hat sich dann noch zum Negativen gewandelt? Roder überlegt kurz. Klar, dass man heute viel an Gesundheit und Fitness denke, beflügelt das Geschäft mit Alkoholika nicht gerade. Tatsächlich gehe nicht nur in Deutschland, sondern auch in der klassischen Weindomäne Frankreich der Weinkonsum zurück. Junge Menschen trinken weniger Wein. Es gebe mehr Singlehaushalte. Weniger genussvolles, gemeinschaftliches Essen als früher.
Und was liegt sonst im Trend? Deutsche Weine zum Beispiel werden mittlerweile gut nachgefragt. „Die haben ein Stück weit aufgeholt“, sagt der Fachmann. Gerade im Weißwein-Bereich. Denn dafür werde es in Südeuropa oftmals viel zu heiß. Der Klimawandel wirke sich aber auch hierzulande aus. Zu heiß ist es für Riesling am Kaiserstuhl. Und starke Regenfälle begünstigen die Kirschessigfliege. Allgemein sei Deutschland aber noch fein heraus, profitiere von dem, was früher hier nicht machbar war. Und was merkt er als Händler vom Klimawandel? Nicht viel. Außer, dass in vermehrt heißen Sommern eher leichte Weine und Getränke für eine Schorle bevorzugt werden.
Ein Wandel sei augenscheinlich: Früher hatte er ein riesiges Bordeaux-Sortiment. Auch Chianti sei bestimmend gewesen. „Das nimmt im Laden mittlerweile nur noch eine kleine Ecke ein“, sagt Roder. Heute geht der Trend eher zu fruchtigen Weinen. „Easy drinking“, meint er. Es gehe einfach um Spaß. Roder spricht vom „guten Trinkfluss“. Sein Resümee: „Der Geschmack hat sich ein bisschen gedreht.“
Was sich in 30 Jahren aber nicht gedreht hat, ist Peter Roders Leidenschaft für das jahrtausendealte Kulturgetränk und für die Menschen, die es lieben.