Neidlingen. Im Neidlinger Talkessel geht etwas Besonderes vonstatten. Wer von Neidlingen aus zu einem Spaziergang in den Wald aufbricht, muss damit rechnen, eine außergewöhnliche Begegnung zu machen. So kommt es nicht selten vor, dass plötzlich Ziegen, Rinder oder gar Esel hinter einem Hügel auftauchen. Fürchten muss sich aber keiner: Die Nutztiere sind als Bestandteil des Hutewaldprojekts sicher eingezäunt.
Der Hutewald ist ein Experiment, das zurück zu den Wurzeln der Beweidung führt. Wie schon vor Hunderten von Jahren beißt sich hier das Vieh durchs Gehölz. Damit sich Naturbegeisterte nicht länger fragen müssen, was es mit den außergewöhnlichen Gastgebern auf sich hat, gibt es jetzt drei neue Infotafeln, die Licht ins Dunkel bringen.
Neidlingens Bürgermeister Jürgen Ebler bringt es bei der Einweihung der Tafeln auf den Punkt: "Bei dem Hutewald geht es um Landschafts- und Naturschutz, genauso wie um Nachhaltigkeit. Die Waldweiden haben hier an der Hanglage von Neidlingen eine lange Tradition und das Landschaftsbild geprägt. Das wollen wir schützen und erhalten." Die lichten Hutewälder stechen einem sofort ins Auge, erklärt Julia Usenbenz vom Forstamt Landkreis Esslingen. "Mit dem Totholz und den mächtigen Hutebäumen sehen die Waldweiden ganz besonders aus. Außerdem gibt es kaum Unterwuchs, weil das Vieh alles wegfrisst."
Auch der Natur- und Artenschutz stehen im Fokus, erzählt Dr. Susanne Bonn vom Referat Naturschutz und Landschaftspflege des Regierungspräsidiums Stuttgart. Die Hutewälder sind vor allem eines: lichtdurchlässig. Das ist die perfekte Voraussetzung für wärmeliebende Arten. So hat sich bereits der seltene Alpenbockkäfer im besonnten Totholz der Naturschutzgebiete "Unter dem Burz" und dem "Erkenbergwasen" häuslich eingerichtet.
Der Weg zurück zu den Hutewäldern war kein leichter. Alle beteiligten Behörden mussten für das Experiment an einem Strang ziehen, verrät Dr. Marion Leuze-Mohr, Erste Landesbeamtin beim Landratsamt Esslingen.
Aber auch für die Pächter der Waldweiden, Karl Burkhardt und Frieder Hepperle, war die ungewohnte Weidefläche eine Herausforderung. "Wir können Grünland einschätzen. Wir wussten aber nicht, wie die Tiere auf der ungewohnten Fläche zurechtkommen", erklärt Frieder Hepperle.
Als das Projekt 2016 angestoßen wurde, waren noch viele Fragen offen. Es war nicht sicher, ob die Tiere in der steilen und schwer zugänglichen Umgebung genug Futter finden. Auch die Nährstoffversorgung wurde am Anfang streng überwacht. Es hat sich herausgestellt: Die Mischbeweidung ist der Schlüssel zur optimale Tiergesundheit. An die ausgewählten Waldweiden schließt sich daher immer Grünland an, sodass die Tiere gut versorgt sind. Karl Burkhardt resümiert: "Die Pflege der Tiere ist hier viel aufwendiger, aber für unsere schöne Landschaft machen wir das gerne." jes