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Dettingen: Ein Mann mit vielen Talenten wird ein Jahrhundert alt

Jubliar Morgen feiert der Dettinger Emil Diez seinen 100. Geburtstag. Von Florian Stegmaier

Die Fliegerei und der Modellbau haben sein Leben geprägt. Foto: Florian Stegmaier

Dettingen. „Die Schriftkunst hat mir das Leben gerettet“, sagt Emil Diez. Außergewöhnliche Worte einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Denn Emil Diez kann nicht nur auf eine beeindruckende Lebensspanne zurückblicken, der Dettinger Jubilar verfügt auch über eine Vielzahl an Talenten. Gerne wäre der junge Emil zum Grafikstudium an die Stuttgarter Kunsthochschule gegangen. Doch den musischen Plänen machte der Krieg einen Strich durch die Rechnung.

Aufgrund seiner Leistungen an der Zielscheibe wollte ihn das Militär zum Scharfschützen ausbilden. Als kalligrafisch versierter Schreiber war er jedoch seiner Einheit wertvoller.

 

Die sind endlos geschwebt.
Emil Diez über seine selbst gebauten Flugmodelle aus Gras

 

Die Liebe zur Schrift hat ihn vor der Kampfzone bewahrt. Im Dachgeschoss seines Dettinger Hauses hat Emil Diez ein eigenes Skriptorium. Der Gedanke an eine klös­terliche Schreibstube liegt nahe. Denn wie seine mittelalterlichen Kollegen stellt Diez Tinte und Schreibzeug selbst her. Ein Stück Weide dient als Federhalter. Und sein Rezept für Eisengallustinte ruht auf Erfahrungen von Jahrhunderten. „Kalligrafie ist die stille Kunst, eine Feder zu führen“, sagt Diez.

Unzählige Hefte hat seine Hand mit kunstvollen Zeichen gefüllt. Andacht und Hingabe leiten die Schreib-Exerzitien. Seine Hinwendung zu biblischen und philosophischen Texten offenbart die geistigen Quellen des Künstlers. Die angesehene Kalligrafin Sigrid Artmann zollt Diez höchsten Respekt. Mit der international tätigen Künstlerin hat er eine gemeinsame Ausstellung bestritten. „Erzähl mir vom Fliegen“ war deren Titel.

Damit ist die zweite große Leidenschaft von Emil Diez benannt: Als Jugendlicher erlernte er von Flugpionier Wolf Hirth die Grundkenntnisse des Segelflugs. Das Bestreben, junge Menschen für die Fliegerei zu begeistern, sollte dem NS-Regime fähige Kampfpiloten heranziehen. Aufgrund einer angeborenen Rot-Grün-Schwäche kam dies für Emil Diez nicht infrage. Eine weitere Fügung, die seinem langen Leben zuträglich war. Als Modellbauer hat Diez eine unerschöpfliche Kreativität entfaltet. Wie viele Flugmodelle seine hauseigene Werkstatt verlassen haben, kann er nicht sagen. Ob Freiflug, Motorflug, Saal- oder Fesselflug: der Dettinger Konstrukteur ist in sämtlichen Disziplinen gleichermaßen innovativ.

In seinem Streben nach harmonischem Zusammenspiel von Technik und Ästhetik leitete ihn stets die Natur: „Von der Natur können wir nur lernen“. Sie liefert perfekte Vorbilder: „Ich habe nichts Leichteres und Stabileres finden können als einen Grashalm.“ Mit Modellen, die wenig mehr als ein Gramm wiegen, erregte Diez Aufsehen: „Die sind endlos geschwebt“, berichtet er stolz. „Alles hat gestaunt, wie so etwas möglich ist.“

Nachdem er seinen Einzelhandel in der Dettinger Ortsmitte geschlossen hatte, zog ein Möbelantiquariat ein. Umgehend fiel Diez die Aufgabe als Restaurator zu: „Die Hölzer zum Leben zu erwecken, ist eine Kunst für sich.“ Diez’ profunde Kenntnisse über Polituren und Lacke verliehen den edlen Stücken neuen Glanz. „Das hat mir riesig Spaß gemacht“, blickt er begeistert zurück. „Das wäre eigentlich mein Beruf gewesen, nicht Einzelhandelskaufmann.“ Für eine Musikalienfirma reparierte und verbesserte der versierte Geiger Streichinstrumente aller Art. Als Meister im Umgang mit Hölzern hat sich Emil Diez bereits während seiner Kriegsgefangenschaft erwiesen. Seine Holzmodelle deutscher Jagdflieger huldigen nicht dem Krieg, sondern der zeitlosen Ästhetik aerodynamischen Designs. Die Miniaturpropeller rotieren in ungebrochener Agilität: Ein Sinnbild für Emil Diez, der im Kreis der vier Kinder am morgigen Sonntag seinen 100. Geburtstag begeht.