Vor zehn Jahren saß ein Teenager in Damaskus mitten in den Trümmern eines zerbombten Hauses. Er hatte ein Buch in der Hand und träumte in den Ruinen der einst so stolzen Stadt von einem sicheren Leben. Er wünschte sich, wieder zur Schule gehen zu können, zu studieren – einfach sorglos zu leben und nicht tagtäglich im syrischen Bürgerkrieg um sein Leben fürchten zu müssen. „Ich wusste nicht, was aus mir werden würde, ob ich jemals wieder ein normales Leben führen würde“, erinnert sich Mohamad Wahid Albarzawi an diese dunklen Zeiten.
Heute wohnt Albarzawi in Esslingen und ist auf dem besten Weg, Schauspieler zu werden. Seit diesem Jahr besitzt der 25-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft – und gab bei der Einbürgerungsfeier des Landkreises Esslingen im Kulturzentrum in Baltmannsweiler emotionale Einblicke in sein Leben. „Ich hatte einen Traum“, sagt der junge Deutsch-Syrer, der die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Schauspieler wollte er werden, wenn wieder alles normal sei. Aber nichts wurde normal: „Wir hatten alles verloren, es gab keine Hoffnung. Wir packten unsere Koffer und verließen unsere Heimat.“
Mit einem Schlauchboot ging die Reise übers Mittelmeer nach Griechenland und weiter in die Türkei. „2015 betrat ich mit 16 Jahren deutschen Boden, in der Hoffnung auf ein friedliches Leben“, so Albarzawi weiter. Schnellstmöglich wollte er wieder zur Schule. Doch ohne Sprachkenntnisse war das unmöglich. Ebenso musste er erkennen, dass er und seine Familie hierzulande nicht überall mit offenen Armen empfangen wurden: „Ich war schockiert, welches Bild manche Einheimische von uns Flüchtlingen hatten.“
Er wollte dazu beitragen, dass sich dieses Bild wandelt. Nach eineinhalbjährigem Deutschkurs in Esslingen wurde ihm klar, dass ein Studium in Deutschland ohne Abitur nicht möglich ist. „Ich wollte also auf eine normale Schule“, sagt Albarzawi. Viele rieten ihm ab, doch er blieb hartnäckig und wechselte in die zehnte Klasse einer Realschule. Anfangs noch völlig überfordert, biss er sich durch. „Geholfen hat mir, wieder zu lesen“, sagt Albarzawi. Deutsche Bücher waren es nun, die der junge Syrer verschlang. Mit Erfolg. Seinen Realschulabschluss absolvierte er mit einem Notenschnitt von 1,5. Danach ging es weiter aufs Gymnasium. Wieder schien die Hürde zu hoch zu sein: „Ich weinte damals oft, der Druck war immens.“ Doch erneut gab er nicht auf. Goethe, Schiller und Lessing wurden seine ständigen Begleiter, und trotz Corona-Pandemie legte er sein Abitur mit der Traumnote von 1,5 ab.
Eigentlich hatte Albarzawi vorgehabt, anschließend Psychologie zu studieren. Doch dann erinnerte er sich an seinen Traum in den Trümmern von Damaskus. „Ich hatte nicht viel zu verlieren und bewarb mich an der Theaterakademie in Stuttgart“, erinnert sich Albarzawi – und er wurde, zu seiner großen Überraschung, wie er offen sagt, angenommen. Seit drei Jahren macht er nun schon seine Ausbildung und hat bereits an einigen Filmproduktionen mitgewirkt. 2025 steht der Abschluss an. Danach will er versuchen, fest an einem Theater unterzukommen.
Landrat Marcel Musolf berührt
„Ich bin dankbar, eine zweite Chance bekommen zu haben, und dankbar, in einer Demokratie leben zu dürfen“, sagt Albarzawi. Sein Heimatland Syrien werde er immer im Herzen tragen, doch auch Deutschland sei ein Teil von ihm geworden: „Und ich bin ein Teil von Deutschland. Deswegen will ich das Beste daraus machen. Und vielleicht kann ich ein kleines Stück dazu betragen, dass niemand mehr seine Heimat verlassen muss. Jeder Mensch hat ein Recht auf Frieden.“
Landrat Marcel Musolf zeigte sich berührt von der bewegenden Ansprache des jungen Deutsch-Syrers: „Sie sind wirklich angekommen und der perfekte Botschafter für eine gelungene Integration.“ Bereits in seiner Begrüßungsrede hatte Musolf betont, dass die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit auch als Vertrauensbeweis in unser System zu sehen sei. „Und dabei verlangt niemand, dass man seinen kulturellen Hintergrund aufgibt.“
Alexis von Komorowski, der als Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württembergs die Festrede hielt, unterstrich mehrfach, dass die Zuwanderung in Deutschland eine Erfolgsgeschichte sei.