Ein Wald aus Stacheln erwartet die Besucher im Gewächshaus von Hermann-Josef Blumentrath. Mannshoch türmen sich Kästen und Töpfe mit Kakteen in den unterschiedlichsten Formen und mit gelb, weiß oder rot schillernden Blüten. Ein schmaler Weg, nicht einmal 50 Zentimeter breit, führt durch das proppenvolle Gewächshaus. Man kommt sich fast vor wie der Elefant im Porzellanladen – mit dem feinen Unterschied, dass der Dickhäuter weniger zu befürchten hat als der menschliche Besucher. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn man auf dem schmalen Pfad das Gleichgewicht verlöre.
Für Hermann-Josef Blumentrath scheint der Drahtseilakt durch Strombo- und Discokakteen kein Problem zu sein: Mit geschmeidigen Bewegungen schlängelt sich der Rentner zwischen den Gewächsen hin und her, als sei es das Einfachste auf der Welt. Und vielleicht ist es das auch für Hermann-Josef Blumentrath – schließlich hat der Kirchheimer das Gewächshaus selbst eingerichtet. Über 500 Töpfe finden in dem Gewächshaus Platz. Würde man die einzelnen Pflanzen zählen, käme man auf über 10 000 Exemplare.
Aber Stacheln allein machen keinen Kaktus: „Nicht alles, was gemeinhin als Kaktus bekannt ist, ist auch einer. Im Kakteenhaus in der Wilhelma sind nur die Hälfte der Pflanzen wirklich Kakteen“, sagt Hermann-Josef Blumentrath und hält eine pralle, grüne Pflanze mit Stacheln in den Händen. „Das ist eine Euphorbie“, erklärt er. „Beides sind Sukkulenten – und sie können recht ähnlich aussehen. Es ist aber nicht schlimm, sie zu verwechseln.“
Dennoch gibt es Sammler, die so fixiert auf Kakteen sind, dass sie andere Sukkulenten für „Grünzeug“ halten. Aber das ist mir zu einseitig“, sagt Hermann-Josef Blumentrath und betrachtet liebevoll seine Pflanzen. Überhaupt scheint er viel eher Pflanzenfreund als puristisch Kakteenzüchter zu sein: Auch dem Pfropfen ist der Senior nicht abgeneigt. Puristen lehnen diese Methode ab, weil sie das Pfropfen für unnatürlich halten. Der Vorgang mutet auch recht martialisch an: Als Erstes schneidet Hermann-Josef Blumentrath einem Kaktus den Kopf ab. Dann nimmt er einen Ableger und setzt ihn auf die Schnittwunde. Es braucht nur ein bisschen Geduld – und schon verwachsen die beiden fremden Pflanzen zu einer. „Der Ableger kann sich Kraft und Saft von der Unterlage holen“, erklärt der Experte.
Die Caralluma will einfach nicht
Doch selbst der grünste Daumen reicht manchmal nicht aus, und so kann der Kakteenliebhaber eine ganz besondere Pflanze nur im Buch bewundern. Sie erinnert an eine Koralle und hat obenauf eine dicke, schillernd rote Blüte. Socotrana Caralluma ist ihr Name, doch ihre Zucht will dem passionierten Rentner einfach nicht gelingen. „Ich habe es immer wieder versucht, aber es will einfach nicht klappen“, sagt er und blickt wehmütig auf eine Abbildung der tiefroten Blüte. „Ein Freund sagte zu mir: Wenn es dreimal nicht klappt, lass es. Dann stimmt was nicht mit deinem Mikroklima.“
Der Misserfolg schmerzt Hermann-Josef Blumentrath mehr als die Stacheln eines Stetsonia Coryne. Doch vielleicht könnten nicht einmal die bis zu neun Zentimeter langen Dornen dem Kirchheimer etwas anhaben. Seine Haut scheint dick geworden zu sein durch die jahrzehntelange Erfahrung mit den stacheligen Pflanzen: Mit bloßen Händen greift er nach einem Goldkugelkaktus. Nicht ein Stachel verhakt sich in seiner Haut, nicht ein Tropfen Blut fließt. „Ich habe wahrscheinlich Kakteen, die über 100 Jahre alt sind – ohne es zu wissen“, sagt er andächtig.
Neben dem Kaktus, der auch als „Schwiegermutterstuhl“ bekannt ist, steht eine Pflanze, die aussieht, als hätte man ihr ein Herz aus Stein aufgesetzt. Bei dem einzigartigen Gewächs handelt es sich um einen echten Schatz: eine Euphorbia Piscidermis. Ein Exemplar der selten gewordenen Pflanze kann über 100 Euro kosten.
Dabei fing alles ganz klein an: 1967 entdeckte der Kirchheimer in einem Kaufhaus ein paar Kakteen. „Sie waren so schön – und pflegeleicht“, erinnert er sich zurück. Aus der kleinen Leidenschaft wurde die große Liebe: Selbst ihr Haus wählten die Blumentrahts danach aus, ob sich ein Gewächshaus im Garten bauen ließe. Dabei zieht Ehefrau Ursula Blumentrath voll mit: „Wir leben für die Kakteen!“, stellt sie klar.
Man sollte glauben, dass die Blumentraths nach 55 Jahren mit den Kakteen schon alles probiert und alles gesehen haben. Doch im Mekka der Stachelpflanzen, in Mexiko, waren sie bisher noch nicht. „Die echten Kakteen kommen ursprünglich aus Amerika“, weiß Hermann-Josef Blumentrath. Die Pracht muss unbegreiflich sein. „Es gibt ständig Neuentdeckungen! Doch nicht einmal dem ehemaligen Besitzer einer Luftfahrtspeditionsfirma würde es gelingen, ein Stückchen Mexiko in seinen Kakteenwald zu bringen, denn die Ausfuhr der Pflanzen ist strengstens verboten. „Dabei fallen die Kakteen dort dem Straßenbau zum Opfer oder enden als Ziegenfutter“, ärgert sich Hermann-Josef Blumentrath.
Ein kleines Stück der großen Kakteenwelt kommt allerdings schon morgen ins Ländle. Dann beginnen nämlich die Süddeutschen Kakteentage in Korb. Dort warten Vorträge über Neufunde, Kurse übers Pfropfen und die Möglichkeit auf neue Kakteen auf die Blumentraths. „ Manche komme extra aus der Schweiz“, betont Ursula Blumentrath die Bedeutung der Veranstaltung und ihr Mann ergänzt: „Es gibt auch eine Tombola. Zu gewinnen gibt es natürlich Kakteen.“ Der Rentner sagt es mit fast kindlicher Aufregung. Und er verspricht: „Jeder, der sich für Kakteen interessiert, ist willkommen.“