So kann man die Ruine Reußenstein also auch fotografieren: Der Himmel mit bizarren Wolken und dramatischer Stimmung dominiert das Bild. Darunter ein Taleinschnitt, bewaldete Hügel und erst beim zweiten Hinschauen die Burgruine, die klein, aber trutzig auf ihrem Felsvorsprung sitzt. Der Blick des Fotografen Christoph von Haussen auf die Schwäbische Alb ist einzigartig. Bei einem Spaziergang in Häringen, wo er lebt, kann man daran teilhaben und den „schwäbischen Jura“ neu entdecken.
Die Leute haben hier keine Scheu, sie müssen nicht in eine Galerie reingehen.
Christoph von Haussen, der Fotograf äußert sich über den Kunstpfad
Häringen ist zwar für den motorisierten Verkehr eine Sackgasse. Dennoch startet hier die „Reise über die Alb“: So heißt der Fotokunst-Pfad, der rund 600 Meter weit durch die Streuobstwiesen zum Waldrand führt. 30 Tafeln mit ungewöhnlichen und überraschenden Blicken auf die Alb erwarten die Wanderer, die meisten Aufnahmen hatte von Haussen schon gemacht, als er 2022 während der Corona-Pandemie ein Stipendium im Programm „Neustart Kultur“ der VG Bild-Kunst beantragte. Er bekam den Zuschlag für das Projekt Fotokunst-Pfad. „Da musste ich es auch machen“, sagt er. Womit ein Genehmigungs-Marathon begann. Landwirtschaft, Landschaftsschutz, Vogelschutz und mehr waren zu beachten; der Bauhof kam, um mögliche Standorte zu begutachten und setzte dann naturgewachsene und aufbereitete Robinienpfähle in den Boden. An ihnen schraubten Christoph von Haussen und seine Frau Stefanie die Fototafeln fest: „In zwei Tagen haben wir das geschafft.“ Seitdem stehen die wetterfest bedruckten Alu-Dibond-Platten vor Ort. Gelegentlich schneidet der Fotograf sie mit der Motorsense rundum frei oder macht sie sauber, wenn Vögel etwas hinterlassen haben.
Eingeweiht wurde der Pfad Anfang Juli 2022; aktuell wurde die Genehmigung um weitere zwei Jahre verlängert. Das Interesse ist nach wie vor groß, das sehen von Haussens von ihrem Haus aus, das anhand der dort aufgestellten Werke leicht zu erkennen ist. „Die Leute haben hier keine Scheu, sie müssen nicht in eine Galerie reingehen“, sagt der Fotograf. Viele versuchten, die Motive des Pfads zu erkennen und zuzuordnen. Die Bilder stehen relativ dicht beieinander am Wegesrand und stammen aus verschiedenen fotografischen Serien, schwarz-weiß und in Farbe, Detailaufnahmen und Landschaftsansichten, oft im Schnee.
Details zeigen im Schnee eine ganz andere Wirkung als sonst und kommen dem Prinzip „je weniger, desto besser“ entgegen, dem der Fotograf ohnehin folgt. Die Blätter von Streuobstbäumen leuchten im ersten Schnee grün, die noch hängenden Äpfel rot. Weitere Highlights sind, wie die Verkaufszahlen zeigen, ein Bild der Limburg, an ihrem Fuß in weichen Wolken badend, oder ein Rotmilan im kahlen Herbstbaum. Ansonsten sucht der Fotograf mit Vorliebe Licht- und Wettersituationen, bei denen andere daheimbleiben: Nebel, Gewitter, Wolken verändern eine Szenerie. Schönwetterfotografie ist langweilig, sagt von Haussen, „bei blauem Himmel würde ich gar nicht rausgehen.“
Es hat allerdings eine Weile gebraucht, bis er einen Zugang zu den Motiven der Alb fand. 1997 sind seine Frau und er nach Häringen gezogen, und zunächst fiel ihm die fotografische Annäherung schwer. Anfangs habe er bei seinen Streifzügen einfach „kein Bild gesehen“, sagt er. Das ist längst überwunden – jetzt zeigen seine Fotos den Betrachtern neue Perspektiven und „unterlaufen gelegentlich unsere Sehgewohnheiten“, wie der Kurator Joachim Kuolt bei der Eröffnung des Kunstpfades feststellte: Es seien „kraftvolle und subtile, archaische und moderne, vielfältige und immer wieder überraschende Gesichter der Alb“.
Christoph von Haussen ist 1958 im Kloster Adelberg geboren. Er hat Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie studiert und arbeitet seit 1989 als selbstständiger Fotograf, im Bereich Industriedesign, aber auch für Blätter wie Geo, National Geographic oder den Spiegel. Die Kunstfotografie war ihm immer wichtig und hat ihm eine Reihe von Auszeichnungen eingebracht.
Das Freiluftprojekt „Reise über die Alb“ ist frei zugänglich und in Häringen auch nicht zu verpassen. Eine erweiterte Variante davon war vor einigen Monaten unter dem Titel „Gesichter der Alb“ als Ausstellung in Bad Saulgau zu sehen.