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Die Angst vor dem Lieferwagen

Polizei In Bempflingen sollen Männer versucht haben, Kinder in ihre Autos zu locken. Wie eine Falschmeldung eine ganze Region in Panik versetzte. Von M. Klemke und J. Aigner

Es ist eine Horrorvorstellung für alle Eltern: Fremde treiben ihr Unwesen in der Nähe von Kindergärten sowie Schulen und versuchen, Kinder zu entführen. Eigentlich kaum vorstellbar, doch Nachrichten dieser Art verbreiten sich ungewöhnlich häufig über soziale Netzwerke und in Chat-Gruppen.

Die mutmaßlichen Tatvorgänge ähneln sich oft. Meist ist die Rede von Männern, die in schwarzen oder weißen Lieferwagen unterwegs sind, selten bewahrheiten
 

Es war wie bei der stillen Post. Am Ende kam etwas völlig anderes heraus.
Susanne Gall-Hofmann
Schulleiterin in Bempflingen

 

sich solche Geschichten. Laut Polizeipräsidium Reutlingen ist es erst vor drei Wochen zu einem Zwischenfall in Plochingen gekommen, der sich am Ende als harmlos herausstellte.

Ein anderer Fall, der sich im Landkreis Esslingen ereignet hat, zog kürzlich ungewöhnlich weite Kreise. „Eine Mutter teilte uns mit, dass ihr Kind von jemandem in einem Auto angesprochen wurde, ob es mitfahren möchte“, erinnert sich Susanne Gall-Hofmann, Leiterin der Grundschule Auf Mauern in Bempflingen. „Das Kind konnte uns nur sagen, dass der Mann ein helles Auto gefahren hat, ein ähnliches wie sein Opa.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Grundschule mit solch einem Fall konfrontiert wurde. Bereits zwei Mal berichteten Schüler in der Vergangenheit von ähnlichen Geschehnissen, beide Male habe es am Ende keinen Grund zur Besorgnis gegeben. „Dennoch müssen wir als Schule natürlich reagieren und nehmen so etwas ernst“, sagt Gall-Hofmann.

Noch am selben Tag habe man eine Nachricht an die Eltern, die Kitas und die Verwaltung rausgeschickt. Lediglich um diese darüber zu informieren, dass es zu einem Zwischenfall gekommen ist. „Es standen weder die Farbe des Autos, noch sonstige Details drin“, sagt Gall-Hofmann.

Umso erstaunter war die Rektorin, was aus ihrer anfänglichen Nachricht wurde. „Am Mittwochmorgen haben mir Eltern auf ihrem Handy eine E-Mail gezeigt. Es sah so aus, als hätte die Schule sie versendet. Aber es war ein vollkommen verfälschter Text.“

Die Meldung verbreitete sich schnell

Schnell verbreitete sich die Meldung auch in den Nachbargemeinden. Die Verwaltung von Neckartenzlingen warnte in einer App vor den Fremden, doch klang der Sachverhalt plötzlich sehr viel bedrohlicher, als das, was das Kind eigentlich erlebt hatte. Aus dem Mann in einem hellen Auto an einer Bempflinger Schule wurden mehrere Männer in einem weißen VW Bus, die sich in Bempflingen, Neckartailfingen und Umgebung herumtreiben und Kinder mit „Kuscheltieren und Süßigkeiten“ anlocken, wie es vonseiten der Neckartenzlinger Ortsverwaltung hieß. „Es war wie bei der stillen Post. Am Ende kam etwas völlig anderes heraus, als ursprünglich berichtet“, sagt Gall-Hofmann.

Die Mitteilung aus Neckartenzlingen habe die Angelegenheit „endgültig hochgepuscht“, sagt die Bempflinger Schulleiterin. Am Folgetag verschickten Schulen aus der gesamten Region Warnungen an die Eltern. Auch in Chat-Gruppen von Sportvereinen wurde vor den vermeintlichen Kindesentführern gewarnt. „Die Falschmeldung ging sogar durch den Bezirk Reutlingen“, sagt Gall-Hofmann.

Am Abend sah sich schließlich auch das Polizeipräsidium Reutlingen gezwungen, die Falschmeldung zu entschärfen und warnte vor Panikmache. Zwar lagen den Beamten tatsächlich Informationen vor, dass ein Kind von einem Mann in einem Auto gefragt wurde, ob er es nach Hause fahren solle. Allerdings sei dabei ein harmloser Hintergrund nicht auszuschließen, hieß es in der Meldung.

„Wir nehmen grundsätzlich jeden Hinweis solcher Art ernst“, sagt Markus Raff, Pressesprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Reutlingen. „Aber wir müssen uns an die Fakten halten. Den Inhalt des Großteils dieser Warnbriefe konnten wir so nicht bestätigen.“

Elternbriefe könnten grundsätzlich ein gutes Mittel sein, so Raff weiter. Aber nur, wenn sie sich an die vorliegenden Informationen halten und den Sachverhalt nicht aufbauschen. „Sowohl die Polizei als auch die Schule, von der die ursprüngliche Warnung ausgeht, sind gute Ansprechpartner, um Fakten zu überprüfen, bevor man selbst tätig wird und Warnungen verschickt“, sagt Raff.

Am übernächsten Tag hatte sich die Situation an der Grundschule Auf Mauern beruhigt. Niemand habe Angst davor, seine Kinder zur Schule zu schicken. Die Eigendynamik der Ereignisse ist jedoch erschreckend, sagt die Schulleiterin: „Am Ende wurde vollkommen unnötig Angst geschürt. Dabei sollten wir doch versuchen, unsere Kinder zu stärken und nicht in Panik zu versetzen.“

Sollte es erneut zu einem solchen Fall an der Grundschule kommen, möchte Gall-Hofmann anders reagieren: „Ich werde keinen Elternbrief mehr herausschicken, ohne es vorher mit der Polizei abzusprechen.“

 

Die Falschmeldung zieht weiter Kreise

In den Folgetagen nach Verbreitung der Falschmeldung haben sich mehrere besorgte Eltern bei Dienststellen des Polizeipräsidiums Reutlingen gemeldet und ähnliche Aussagen ihrer Kinder geschildert. In verschiedenen Reutlinger Teilorten sollen an einem Nachmittag Männer mehreren Kindern unabhängig voneinander Süßigkeiten oder Hundewelpen angeboten haben. Laut Polizei haben alle bisherigen Überprüfungen der geschilderten  Fälle nicht zur Verifizierung der Sachverhalte geführt. „Wie im Fall in Bempflingen ergaben sich keine Hinweise auf Straftaten oder Übergriffe“, so die Polizei. lp