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Die Angst vor der Zukunft dominiert

Diskussion Viele Bauern kämpfen um ihre Existenz. Siegfried Nägele vom Kreisbauernverband nannte Landwirtschaftsminister Hauk die Probleme. Von Elisabeth Maier

Im Januar protestierten hiesige Bauern auf der A8 in Richtung Stuttgart. Foto: Carsten Riedl

Es fehlt an Wertschätzung für die Landwirtschaft.“ Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk beschönigte die Situation der Bauern nicht. Immer mehr Landwirte seien gezwungen, ihre Betriebe aufzugeben. Schuld daran seien allerdings auch die Verbraucher, die nicht bereit seien, etwas mehr für die Produkte aus der Region zu bezahlen. Diesbezüglich appellierte der Minister dringend an die Gesellschaft, „mehr in die eigene gesunde Ernährung zu investieren“.

Auf Einladung der CDU Ostfildern sprach der Landespolitiker mit dem Bissinger Siegfried Nägele, dem Vorsitzenden des Kreisbauernverbands Esslingen,

„Jedes Jahr verlieren wir in Deutschland etwa 1000 landwirtschaftliche Betriebe.

David Preisendanz

Vorsitzender des CDU-Stadtverbands Ostfildern

 

über die drängenden Probleme der Landwirtschaft. In einer Zeit, da Bauern mit Traktoren auf Autobahnen gegen Kürzungen beim Agrardiesel demonstrieren, ist das Thema aktueller denn je.

„Was sind uns unsere Bauern noch wert?“ fragten die Veranstalter bei dem gut besuchten Podiumsgespräch im evangelischen Gemeindehaus in Ruit. „Jedes Jahr verlieren wir in Deutschland etwa 1000 landwirtschaftliche Betriebe“, brachte David Preisendanz die prekäre Situation der Landwirtschaft auf den Punkt. Bereits heute importiert Deutschland laut dem Vorsitzenden des CDU-Ortsverbands 60 Prozent an Gemüse und Obst. Diese Entwicklung habe verheerende Auswirkungen auf den Klimaschutz. Zwar habe „ein Misthaufen nichts auf der Autobahn zu suchen“, so der Jurist. Aber die CDU habe auch Verständnis für die Bauernproteste.

 

Hofläden mussten aufgeben

Im Dialog brachten Landwirtschaftsminister Hauk und Siegfried Nägele die zentralen Probleme griffig auf den Punkt. Dass beide eine Sprache sprechen, machte den Austausch umso lebendiger. „Viele Hofläden im Kreis Esslingen haben aufgeben müssen“, schilderte Nägele die Situation. Die Verantwortung dafür sieht der Chef der Kreisbauern auch bei den Verbrauchern: „Wir als Bauern sind gezwungen, in neue Technologien zu investieren, damit sich unsere Landwirtschaft rechnet.“ Auch für ihn sei es schwer verkraftbar, dass ihm durch die von der Ampelkoalition schrittweise beschlossene Kürzung der Steuervergünstigungen beim Agrardiesel rund 6000 Euro an jährlichen Mehrkosten entstünden.

Da sind die europäischen Nachbarländer nach Peter Hauks Worten im Vorteil, da die Bauern dort anders unterstützt würden. Im Supermarktregal entscheide sich der Verbraucher dann angesichts der Kosten für das importierte Produkt. Der Christdemokrat lenkte den Blick auf die wenigen Supermarktkonzerne und -ketten, die in Deutschland den Markt bestimmten: „Durch die Konkurrenz werden Preise gedrückt, und die Landwirte können oft nicht mehr kostendeckend produzieren.“

 

Bürokratie legt Steine in den Weg

Siegfried Nägele übergibt seinen Betrieb in Bissingen jetzt an die nächste Generation. In deren Zukunft blickt er angesichts der aktuellen Lage allerdings mit großer Sorge. Mit diesem Problem ist er nicht alleine. Auch der Sohn des Ostfilderner Landwirts Christof Clauss übernimmt den elterlichen Betrieb. „Aber wenn die Wertschätzung für die Landwirtschaft in der Gesellschaft fehlt, ist das auf Dauer für die junge Generation keine Perspektive.“ Clauss, der in Esslingen und Ostfildern Wein anbaut und in der Domäne Weil ein Hofcafé betreibt, berichtete auch von Steinen, die die Bürokratie den Landwirten immer wieder in den Weg lege.

Diese Probleme versteht Minister Hauk, der selbst studierter Forstwirt ist und in einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden ist. „Pragmatische Lösungen“ scheitern laut dem Politiker oft an rechtlichen oder bürokratischen Hürden. Gerade bei innovativen Ansätzen für die Energiewende, „die ja auch im Interesse unserer Landwirtschaft liegen muss“, zeige sich das sehr deutlich.

Dass Solaranlagen auf wertvollen landwirtschaftlichen Ackerböden ein großes Problem darstellen, steht für Siegfried Nägele außer Frage. Gegen den Flächenverbrauch gerade im Kreis Esslingen machen die Bauern bereits seit Jahren mobil. Deshalb hat der erfahrene Landwirt den Vorschlag gemacht, über Solaranlagen auf den eher trockenen Schafweiden nachzudenken. „Passiert ist nichts“, bedauert der Chef der Kreisbauern. Hauk fand den Vorschlag des Bissingers spannend und könnte sich daher sogar „ein Pilotprojekt“ vorstellen. Mit Biogas hat der Minister bereits einige Projekte unterstützt und mit auf den Weg gebracht.

Dass die Energiewende nicht auf Kosten der Bauern und damit „der Lebensgrundlage für unsere Gesellschaft“ gehen darf, steht für Minister Hauk außer Frage. Dabei nimmt er auch seine grünen Koalitionspartner in Baden-Württemberg in die Pflicht. Verkehrsminister Winfried Hermann habe seit Jahren den Auftrag, die Randbereiche der Autobahnen mit Solarpaneelen auszustatten, „aber das passiert noch zu wenig“. Der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz wünscht sich mehr vernetztes Denken auf allen Ebenen, gerade auch innerhalb der Landesregierung.

 

 

Bauern im Kreis fordern Umdenken

Vertretung Die Interessen der Bäuerinnen und Bauern im Landkreis Esslingen vertreten die beiden Vorsitzenden des Kreisbauernverbands, Tobias Briem aus Filderstadt und Siegfried Nägele aus Bissingen. Im dicht besiedelten Kreis Esslingen hat der Verband aktuell 850 Mitglieder.

Landesverband Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg besteht seit 1989, durch Fusion des 1947 gegründeten Bauernverbands Württemberg-Baden mit dem Landesbauernverband Württemberg/Hohenzollern. Der LBV ist mit 38 500 Mitgliedern drittgrößter Bauernverband in Deutschland.

Proteste An den bundesweiten Bauernprotesten beteiligt sich auch der Esslinger Kreisbauernverband. Vorsitzender Siegfried Nägele findet es wichtig, „dass dadurch unsere Themen ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.“ Das Thema Ernährung geht aus seiner Sicht alle Verbraucher an.  eli