Lenninger Tal
Die Antriebswende allein reicht nicht

Verkehr Womit und wie sich Menschen künftig fortbewegen, bestimmt das Klima. Minister Winfried Hermann und Andreas Schwarz bringen ihre Ideen dazu in einem neuen Format unter die Leute. Von Thomas Zapp

Sein Besuch im Kirchheimer Bürgerhaus ist ziemlich genau ein Jahr her. Damals diskutierte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann mit Andreas Schwarz und Experten vor rund 100 Gäs­ten über die Mobilität von morgen. Das Thema hat nicht an Aktualität verloren, nur die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Die Weiderholung fand nun corona-gerecht ohne Publikumspräsenz im Studio eines Owener Software-Unternehmens statt und wurde live gestreamt. Zwei Kameras, sechs Leuchten, ein selbstverständlich grüner Hintergrund, ein Stehtisch, drei Techniker und zwei Politiker, die sich souverän die Bälle zuspielen.

Seit 2011 ist Winfried Hermann Vekehrsminister und seit neuestem auch Buchautor. „Und alles bleibt anders“, heißt sein Werk, das er vor allem Dank Zeitgewinn durch Corona schreiben konnte, erzählt „Winne“ seinem Parteifreund im Studio. Wahrscheinlich nicht ganz zufällig hat er das Buch dabei, handelt es doch von Visionen für die Fortbewegung der Zukunft, von Straßenbelägen mit Fotovoltaik-Zellen und von Zebrastreifen mit integrierten Halogen-Lichtstreifen und Städten mit weniger Verkehr und mehr menschlicher Begegnung.

Die Klimaziele zu erreichen und Arbeitsplätze zu erhalten, der Spagat des Grünen-Wahlkampfs prägt auch das Gespräch der beiden Landespolitiker über die Mobilität der Zukunft. Denn die werde nicht nur darin bestehen, so der Minister, die „Antriebswende“ zu schaffen, sondern auch eine „Mobilitätswende“. Es sei eben nicht damit getan, statt Verbrennungs- auf energieeffiziente Elektroantriebe für den Individualverkehr, Wasserstoffantriebe für den Schwerlastverkehr sowie auf synthetische Kraftstoffe für den Flugverkehr zu setzen. „Wenn wir bis 2050 klimaneutral werden möchten, müssen wir den Energieverbrauch halbieren“, sagt Winfried Hermann. Gleichzeitig brauche es mehr Strom aus erneuerbaren Energien. „Wir sagen dazu ganz klar: Fotovoltaik auf alle Dächer und Ausbau der Übertragungsnetze“, ergänzt Andreas Schwarz. Er sagt aber auch: Das bedeutet, Strom zu importieren. Der Alternative Atomstrom erteilt er auch auf Nachfrage eine Absage: „Es gehört zu unserem Markenkern, dass wir Atomkraft ablehnen.“

Da die ambitionierten Ziele mit neuen Antrieben alleine nicht erreicht werden könne, brauche es auch eine Mobilitätswende. Dazu gehört der Plan einer Verdoppelung des öffentlichen Nahverkehrs bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2010, eine Erhöhung der Takte, das Ein-Euro-­Tagesticket für die Stadt, das Zwei-Euro-Ticket für die Region und Drei-Euro-Tickets für das Land. Die Modernisierung der Bahnen, so Andreas Schwarz, hat Winfried Hermann schon vorangetrieben, 150 weitere Züge kommen dazu. Das sei eine starke Leistung. Das Format erlaubt auch mal ein Lob zwischen den Parteifreunden. Auch die Pläne, sollten sie tatsächlich umgesetzt werden, könnten für Lobeshymnen sorgen: Die Reaktivierung alter Bahnstrecken wie Kirchheim-Weilheim, Göppingen-Boll und die Verbindung beider. Die Bedarfsprüfung hätte ergeben, dass diese Linien in die Top-Kategorien fallen.

Auch um die Gäubahn ging es, ebenso um die Bahnverbindung von Wendlingen zu den Fildern, entlang der neuen ICE-Trasse oder als komplett neue Linie vom Flughafen über Köngen. Das kostet alles Geld, aber: „In Stuttgart kostet der Rosensteintunnel 400 Millionen Euro. Für zwei Kilometer. Wir geben viel Geld für die Straße aus und müssen uns fragen, ob das noch zeitgemäß ist“, sagt er.

Zeitgemäß sind für ihn vier Meter breite Rad­schnellwege ohne Kreuzungen, was die Trassenführung in Ballungsräumen zu einer teuren Aufgabe macht. Das schreckt den Minis­ter freilich nicht ab. „Der Bund hat das Rad entdeckt“, frohlockt er, denn es gibt Fördermittel. Sein Ziel: Bis 2025 sollen mindestens zehn Rad­schnellwege im Land entstehen, auch von Stuttgart nach Reichenbach. „Mit einem 25er- oder 26er-Schnitt zur Arbeit zu fahren, das wäre was“, freut sich Andreas Schwarz schon jetzt. Im Bürgerhaus würde es jetzt Applaus geben, im Studio bleibt es still. Aber Grund zur Freude gibt es noch: 80 Interessierte waren zugeschaltet.