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„Die Bahntrasse war in Aichelberg ein Mega-Thema“

Interview Der Aichelberger Bürgermeister Martin Eisele nimmt nach 20 Jahren Abschied – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Von Jürgen Schäfer

Corona hat fast die letzten zwei Jahre geprägt. Unzählige Verordnungen, die der Aichelberger Bürgermeister Martin Eisele zu studieren und umzusetzen hatte. Und das neben der eigentlichen Verwaltungsarbeit. „Von einem nahenden Ruhestand war auch in den letzten Arbeitstagen nichts zu spüren“, sagt der scheidende Rathauschef. „Das Amt fordert einen bis zum Schluss.“

Herr Eisele, mit welchen Gefühlen nehmen Sie Abschied?

Martin Eisele: Einerseits freue ich mich auf ruhigere Zeiten, andererseits werde ich mit Sicherheit die Menschen und manch anderes vermissen, was mir in 20 Jahren als Bürgermeister sehr ans Herz gewachsen ist.

Wie sah Aichelberg vor 20 Jahren aus? An der Bahntrasse vor dem Portal Aichelberg stand noch ein Bauernhof, niemand dachte an ein Interkommunales Gewerbegebiet …

Eisele: Die Markungsfläche hat sich in den vergangenen 20 Jahren vor allem im Bereich der künftigen ICE-Trasse stark verändert. Es ist mittlerweile eine deutlich sichtbare Schienenstrecke entstanden, wo bisher keine war. Weiter auch Aufschüttungen und Erdwälle. Die Menschen haben sich im Großen und Ganzen nicht verändert. Sie sind sympathisch, Neuem aufgeschlossen und packen an, wenn’s darauf ankommt.

Die Bahntrasse war ja ein Mega-Thema. Als die Planungen liefen, befürchteten Sie Dreck, Lärm und Staub. Ist es so gekommen?

Ja, die Bahntrasse war und ist nach wie vor ein Mega-Thema. Dem exzellenten Fachwissen von Erich Kizler als Bauingenieur im Ruhestand und seiner engagierten Unterstützung haben wir es zu verdanken, dass die schlimmsten Belastungen für die Ortsbewohner abgewendet werden konnten. Dank seiner Hilfe wurde der Bau der „ICE-Brücke“ vorgezogen und wir haben erreicht, dass die gesamten Baustellen-Container- und Lagerflächen auf die Südseite der Autobahn verlegt wurden. Damit konnte man den gesamten Baustellenverkehr über diese Brücke abwickeln.

 

Alle Vor- und Nachteile der Autobahn sind für die Bewohner unmittelbar spürbar.
Martin Eisele  

 

Was hat die Bahn noch alles mit sich gebracht?

Gutes und Schlechtes. Über einen Anstieg der Gewerbesteuer haben wir uns sehr gefreut. Geärgert hat uns die Übertragung der Unterhaltungsverpflichtung für drei Regenrückhaltebecken.

Zum Bahn-Projekt bekamen Sie damals 15 dicke Ordner auf den Tisch. Darüber mussten Sie Bescheid wissen und es den Aichelbergern vermitteln. War das ein Moment, an dem Sie sich wünschten, als Schultes nicht „Einzelkämpfer“ zu sein?

Das war ein Moment, wo mir nichts anderes übriggeblieben ist als im übertragenen Sinne die Ärmel hochzukrempeln und mir wenigstens einen Überblick über den Inhalt dieser Ordner zu verschaffen. Problematisch war und ist es bis heute, in dem Konzern „Bahn“ für notwendige Detailklärungen und Nachfragen immer den zuständigen Ansprechpartner zu finden. Das hat teilweise wertvolle Zeit gekostet.

War die Autobahn auch immer wieder ein Thema?

Aichelberg und die Autobahn sind ganz eng miteinander verbunden. Alle Vor- und Nachteile sind für die Ortsbewohner unmittelbar spürbar. Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben sich an ein Leben mit der Autobahn gewöhnt. Auch heute noch sind sie dankbar, dass die Trasse mit dem Neubau vom Ort abgerückt ist. Das gab uns ein deutliches Plus an Lebensqualität. Aktuell hoffen wir darauf, dass das Regierungspräsidium die verkehrsabhängig gesteuerte Ampelanlage an der Ausfahrt aus Richtung Stuttgart schnellstmöglich errichtet.

 

Der Campingplatz ist absolut ein Gewinn für die Gemeinde und nicht mehr wegzudenken.
Martin Eisele

 

Der Aichelberger Campingplatz. Da gab’s ja mal einen Besitzerwechsel. Läuft dort alles gut?

Den Campingplatz betreibt seit 2010 die „Tojo Campinganlagen“ mit Sitz in Plüderhausen im Rahmen eines Erbbaurechtsverhältnisses. Der Platz präsentiert sich heute in einem ganz hervorragenden Zustand und lockt mit modern ausgestatteten und sehr gepflegten Sanitäranlagen zahlreiche Übernachtungsgäste an. Aber nicht nur damit. Empfehlenswert und ein ganz besonderes Erlebnis ist eine Übernachtung im Schäferwagen, im Finkota Campingfass oder auch in einer Woody-Tramp Campinghütte. Der Campingplatz ist absolut ein Gewinn für die Gemeinde und nicht mehr wegzudenken.

Sie haben nach der Finanzkrise vor 13 Jahren Alarm geschlagen, dass Aichelberg viel zu wenig Gewerbesteuer hat. Haben Sie im Stillen darauf hingewirkt, dass Aichelberg sich um ein Interkommunales Gewerbegebiet bewirbt? Konnten Sie das überhaupt beeinflussen?

Ja, wir haben im Vergleich mit anderen Kommunen ein leider nur sehr schwaches Gewerbesteueraufkommen. Über einen unerwarteten Geldsegen können wir uns seit 2015 freuen. Dank der „ICE-Baustelle“. Vor zwei Jahren hatten wir mit exakt 675 674,88 Euro einen Gewerbesteuer-Rekord. Allerdings: Sobald der Zug fährt, werden wir uns wieder mit deutlich weniger Gewerbesteuer zurechtfinden müssen. Unter dem Aspekt der finanziellen Unabhängigkeit der Gemeinde ruhen deshalb große Hoffnungen auf dem geplanten Gewerbepark.

Aichelberg gehört zum Verband Raum Bad Boll. Und damit auch zu einer Nachhaltigkeitsregion. Ist das bei den Menschen angekommen?

Nachhaltigkeit ist alternativlos. Viele der ökologischen, sozialen und ökonomischen Zukunftsfragen sind auch und vor allem auf der Ebene der Städte und Gemeinden zu lösen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Thema in unserer Bürgerschaft angekommen ist.

Aichelberg liegt an der Kreisgrenze. Die Busverbindung in die Nachbarstadt Weilheim war immer ein Thema, ist es vielleicht noch. Ist es spürbar, so in einer Randlage zu sein?

Für eine Gemeinde in einer Randlage ist es immer schwierig, alle Wünsche und Bedürfnisse zum Thema ÖPNV erfüllt zu bekommen. Wir müssen mit dem leben, was wir haben, und d as ist meiner Meinung nach nicht ganz schlecht.

 Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?

Es gibt zurzeit noch keinen „Plan B“. Zunächst freue ich mich auf ruhigere Zeiten und darauf, mir Zeit nehmen zu können für Dinge, die bisher eindeutig zu kurz gekommen sind. Reisen, lesen, wandern und ab dem Frühjahr wieder verstärkt mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.

Werden Sie Aichelberg auch mal besuchen? Mit dem Fahrrad oder dem E-Bike? Für Sie war das (eigene) E-Bike ja auch ein Dienstfahrzeug …

Selbstverständlich werde ich der Gemeinde auch weiterhin verbunden bleiben. Besuche, je nach Wetter, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto.

 

Martin Eisele wohnt in Kirchheim und ist verheiratet. Der 63-Jährige hat zwei erwachsene Söhne. Aufgewachsen ist er in Eislingen. Bürgermeister in Aichelberg wurde er 2001. Zuvor war der Diplom-Verwaltungswirt bei der Kirchheimer Stadtverwaltung. Aus dieser Zeit kennt er seine Nachfolgerin Heike Schwarz als Kollegin. Die neue Bürgermeisterin von Aichelberg tritt ihr Amt Mitte Januar an. js