Zwischen Neckar und Alb
Die Denkerin räumt mit Vorurteilen auf

Theater Als Dramaturgin mit Migrationshintergrund hat man es schwer. Die Italienerin Anna Gubiani musste das erfahren. Seit 2015 baut sie in der WLB Esslingen Brücken nach Europa. Von Elisabeth Maier

Der Beruf der Dramaturgin hat die 43-jährige Anna Gubiani immer fasziniert. In ihrem Heimatland Italien sind die Theater allerdings anders organisiert. Dort werden einige Aufgaben der Dramaturgen meist innerhalb des Produktionsteams verteilt. Den Beruf im eigentlichen Sinn gebe es nicht. „Dramaturgen gehören zur Leitung des Theaters, sie sind dessen Denker“, bringt sie ihr Berufsbild auf den Punkt. Seit 2015 arbeitet die temperamentvolle Theaterfrau, die im Friaul aufgewachsen ist, an der Württembergischen Landesbühne (WLB) Esslingen.

Ganz einfach sei es nicht gewesen, als Italienerin in der deutschen Theaterszene Fuß zu fassen, findet Gubiani: „In deutschen Theatern sind Dramaturgen mit Migrationshintergrund die Ausnahme.“ Das bedauert sie sehr, weil in den Dramaturgien schließlich die Spielpläne gestaltet und über die Ausrichtung des Theaters entschieden werde. „Sie stehen am Anfang der Theaterproduktionskette und haben daher Einfluss auf seine Diversität.“

Diese Vielfalt fehlt aus ihrer Sicht noch zu oft. Deshalb bringt die Italienerin, die an der Scuola d’ arte „Paolo Grassi“ in Mailand und später in Bologna Theaterwissenschaft studiert hat, viele Impulse in die Spielpläne der WLB ein. Nach beruflichen Stationen am Theater Erlangen und am Staatstheater Stuttgart bringt sie ihre europäische Perspektive nun an der Württembergischen Landesbühne ein. In dieser Saison gibt es da gleich zwei Produktionen italienischer Dramatiker. Neben dem Kinderstück „Gefühlsstrudel“, das der italienische Regisseur Bruno Capaggli an der Jungen WLB für Zwei- bis Fünfjährige entwickelt hat, betreute Anna Gubiani auch die deutschsprachige Erstaufführung von „New York Marathon“ des Italieners Edoardo Erba. Gemeinsam mit ihrer WLB-Kollegin Stefanie Serles hat sie das Stück auch übersetzt, das von seiner dynamischen Dramaturgie lebt. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer, die für den 42-Kilometer-Lauf trainieren, von diesem Ziel aber noch weit entfernt sind.

Als Dramaturgin Brücken zu schlagen zwischen den Kulturen, das reizt Anna Gubiani. Zumal sich die Italienerin manchmal über die Textlastigkeit des deutschen Theaters wundert. Für sie ist das Theater ein Gesamtkunstwerk, das von Performance, Raum, Ausstattung, Musik und Tanz ebenso lebt wie von der Sprache.

Als sie sich nach ihrer bestandenen Magisterprüfung an deutschen Theatern bewarb, sah sich die Theaterfrau mit etlichen Vorurteilen konfrontiert. „Da hörte ich Sätze wie ,Können Sie Schiller verstehen?’ oder ,Haben Sie das denn verstanden?’“ Über solche Prämissen schüttelt sie den Kopf. Denn gerade im Theater findet sie es wichtig, international zu denken. Den Horizont zu weiten ist daher ihr Ziel.

Obwohl Sprache aus ihrer Sicht nicht alles sein darf, ist sie für Anna Gubiani zentraler Bestandteil der Kultur. Dazu gehört für die Italienerin auch die Pflege von regionalen Sprachen wie ihrer eigenen. Friaulisch wird von etwa 600 000 Menschen gesprochen und ist dort als regionale Amts- und Schulsprache anerkannt.

Eine der besonders schönen Herausforderungen im Beruf ist es für die Autorin, Literatur auf die Bühne zu bringen. Das Kinderbuch „Die Kurzhosengang“ von Zoran Drvenkar hat sie 2015 an der WLB mit dem damaligen Regisseur Jakob Weiss für die Bühne bearbeitet. Die Entwicklung einer neuen Dramatik, die sich mit wichtigen Themen der Zeit auseinandersetzt, liegt der 43-Jährigen sehr am Herzen. Die Kommunikation mit Autoren aus ganz Europa macht ihr Freude.

Da sie selbst Szenisches Schreiben studiert und eigene Stücke geschrieben hat, fällt es der Künstlerin leicht, schnell einen Draht zu finden. In der Szene ist sie bestens vernetzt. Ende 2012 gründete sie zusammen mit Alessandro Di Pauli die Dramaturgie-Werkstatt „Matearium“ in Norditalien, die sie seitdem leitet.