Zwischen Neckar und Alb
Die Entscheidung über die neue Flug­rou­te ist nur ver­tagt

Infrastruktur In ei­ner Kri­sen­sit­zung ver­stän­di­gen sich Bür­ger­meis­ter und Lan­des­re­gie­rung dar­auf, die Fluglärm­kommission spä­ter als ge­plant anzuhören. Die Kri­ti­ker sol­len stär­ker be­tei­ligt wer­den. Von Jo­han­nes M. Fi­scher

Die Es­ka­la­ti­on des Streits über ei­ne neue Flug­rou­te ist vor­erst ge­bremst: In ei­ner Vi­deo­schal­te ha­ben sich die Teil­neh­mer dieser Tage dar­auf ge­ei­nigt, ei­ne Emp­feh­lung der Flug­lärm­kom­mis­si­on an den Bund her­aus­zu­zö­gern. Da­mit wird das Ver­fah­ren ent­schleu­nigt. Au­ßer­dem soll es ein so­ge­nann­tes Ge­samt­lärm­gut­ach­ten ge­ben, an des­sen Fi­nan­zie­rung sich das Land be­tei­ligt. Be­trof­fe­ne Kom­mu­nen, die nicht Mit­glied der Flug­lärm­kom­mis­si­on sind, sol­len stär­ker ein­ge­bun­den wer­den und „min­des­tens“ ein Gast­recht be­kom­men.
 

„Die neue Flugroute ist eine große Chance.
Christof Bolay
Oberbürgermeister von Ostfildern


Soll­te am En­de die­ses Pro­zes­ses die Lärm­kom­mis­si­on noch im­mer zu ei­nem po­si­ti­ven Er­geb­nis kom­men, soll es ei­nen ein­jäh­ri­gen Pro­be­be­trieb ge­ben, der auf zwei Flü­ge je Stun­de zu be­gren­zen sei.

Ein­ge­la­den hat­ten als Streit­schlich­ter Mi­nis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann und Ver­kehrs­mi­nis­ter Win­fried Her­mann (bei­de Grü­ne). Zu­dem nah­men be­trof­fe­ne Ober­bür­ger­meis­ter und Bür­ger­meis­ter, Mit­glie­der der Flug­lärm­kom­mis­si­on so­wie ei­ni­ge Ab­ge­ord­ne­te teil. Kret­sch­mann und Her­mann be­ton­ten mehr­fach, dass sich das Land le­dig­lich in ei­ner mo­de­rie­ren­den Rol­le sieht.

Ur­sprüng­lich soll­te schon am 2. No­vem­ber ei­ne Emp­feh­lung ab­ge­ge­ben wer­den – und zwar zu­guns­ten der neu­en Rou­te. Doch der Wi­der­stand be­trof­fe­ner Ge­mein­den und Bür­ger schwoll in den ver­gan­ge­nen Wo­chen an. Vie­le Fra­gen schie­nen un­ge­klärt, so­dass es nun zu der spät­abend­li­chen Kri­sen­sit­zung kam. Ei­ner der Kri­ti­ker ei­ner schnel­len – aus sei­ner Sicht vor­schnel­len – Ent­schei­dung, Ober­bür­ger­meis­ter Jo­han­nes Frid­rich aus Nür­tin­gen, sprach von ei­nem „sach­li­chen, gu­ten Mit­ein­an­der“. Her­mann be­ton­te, es sei ihm wich­tig, „dass die Vor­schlä­ge, die als Er­geb­nis der Be­spre­chung fest­ge­hal­ten wur­den, hel­fen, ei­ne ak­zep­ta­ble Lö­sung zu fin­den.“ Kret­sch­mann kom­men­tier­te: „Es ist uns ein gro­ßes An­lie­gen, dass wir zu ei­ner fai­ren und kon­struk­ti­ven Lö­sung für al­le Be­trof­fe­nen kom­men. Es ist des­halb auch rich­tig, wenn sich die Flug­lärm­kom­mis­si­on da­für die not­wen­di­ge Zeit nimmt.“

Und das ist der Hin­ter­grund: Ge­plant ist ei­ne neue Flug­rou­te in den Sü­den un­ter ganz be­stimm­ten Wind­ver­hält­nis­sen. Be­an­tragt wur­de die neue Rou­te von den Luft­fahrt­ge­sell­schaf­ten Luft­han­sa und Ger­m­an­wings. Der Vor­sit­zen­de der Flug­lärm­kom­mis­­si­on, Ost­fil­derns Ober­bür­ger­meis­ter Chris­tof Bo­lay, sprach sich für ei­nen ein­jäh­ri­gen Pro­be­be­trieb und ei­ne ent­spre­chen­de Emp­feh­lung aus, wäh­rend Nür­tin­gens Ober­bür­ger­meis­ter Jo­han­nes Frid­rich kri­ti­sier­te, dass noch et­li­che In­for­ma­tio­nen fehl­ten, um be­reits am 2. No­vem­ber ei­ne sol­che Emp­feh­lung ab­ge­ben zu kön­nen. Zu­letzt po­si­tio­nier­te sich auch der Rat­haus­chef von Lein­fel­den-Ech­ter­din­gen, Ro­land Klenk, ge­gen ei­ne Emp­feh­lung der Flug­lärm­kom­mis­si­on zum jet­zi­gen Zeit­punkt.

10 000 Unterschriften gesammelt

Ins­ge­samt sind es ein knap­pes Dut­zend Kom­mu­nen, die durch die neue Ab­flug­rou­te mehr Flug­lärm ab­be­kom­men wür­den, dar­un­ter Nür­tin­gen, Neu­hau­sen, Den­ken­dorf, Kön­gen, Wolf­s­chlu­gen und Aich­tal. Es gibt auch ei­ne Bür­ger­initia­ti­ve „Ver­eint ge­gen Flug­lärm“, die be­reits knapp 10 000 Un­ter­schrif­ten ge­sam­melt hat. An­de­re Kom­mu­nen wie Ost­fil­dern, Alt­bach, Dei­zi­s­au und Plochin­gen er­hof­fen sich durch die neue Rou­te ei­ne Ent­las­tung.

Frid­rich sieht vor al­lem drei Punk­te un­ge­klärt. Er geht da­von aus, dass ei­ne Än­de­rung der Flug­rou­te zu ei­nem kom­pli­zier­ten Plan­fest­stel­lungs­ver­fah­ren füh­ren wür­de. So sah das 2019 offenbar auch die Deut­sche Flug­si­che­rung. Ein zwei­ter Punkt, den Kri­ti­ker Frid­rich an­führt, be­trifft die Flug­si­cher­heit. Drei Va­ri­an­ten der neu­en Rou­te schei­nen von den Stan­dards der In­ter­na­tio­na­len Zi­vil­luft­fahrt­or­ga­ni­sa­ti­on ICAO deut­lich ab­zu­wei­chen. Die ICAO ist ei­ne UN-Or­ga­ni­sa­ti­on, die Si­cher­heits­stan­dards für den in­ter­na­tio­na­len Flug­ver­kehr er­ar­bei­tet hat. In ei­nem Schrei­ben der Deut­schen Flug­si­che­rung ist so­gar die Re­de von ex­tre­men Ab­wei­chun­gen. Frid­rich möchte dies drin­gend klä­ren.

Fridrich will schnelle Klärung

Schlie­ß­lich führt Nür­tin­gens Ober­bür­ger­meis­ter noch ei­nen drit­ten Punkt an, der da­für spre­che, ei­ne Emp­feh­lung spä­ter ab­zu­ge­ben. Es sei kei­nes­wegs ge­klärt, ob un­term Strich tat­säch­lich mehr Bür­ger ent­las­tet als be­las­tet wer­den. Hier liegt Frid­rich in deut­li­chem Dis­sens mit Bo­lay, dem Ober­bür­ger­meis­ter von Ost­fil­dern. Bo­lay sag­te in ei­nem In­ter­view: „Die neue Flug­rou­te ist ei­ne gro­ße Chan­ce. Rund 90 000 Men­schen wür­den sehr stark pro­fi­tie­ren von der neu­en Rou­te; die Zahl der Be­trof­fe­nen wür­de sich hal­bie­ren.“

In die­se Rich­tung ar­gu­men­tier­te auch der Bür­ger­meis­ter von Dei­zi­s­au, Tho­mas Ma­trohs. Er geht eigenen Angaben zufolge da­von aus, dass es sich le­dig­lich um ei­ne mehr­wö­chi­ge Ver­zö­ge­rung han­delt. „Das ist gar kein Ma­kel. Der Ter­min soll­te ja der Ent­schei­dungs­fin­dung die­nen.“

Ergebnisse und Bewertungen der Krisensitzung

Ter­min Die Flug­lärm­kom­mis­si­on wird nicht, wie ur­sprüng­lich vor­ge­se­hen, be­reits am 2. No­vem­ber ei­ne ab­schlie­ßen­de Emp­feh­lung ab­ge­ben.
Gut­ach­ten Es wird ein un­ab­hän­gi­ges Ge­samt­lärm­gut­ach­ten ge­ben. Zu­dem soll ei­ne Ex­per­ten­grup­pe die Aus­sa­gekraft ei­nes sol­chen Gut­ach­tens noch ein­mal be­wer­ten.

Pro­be­be­trieb Soll­te die Flug­lärm­kom­mis­si­on zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt die neue Rou­te emp­feh­len, soll es ein Jahr lang ei­nen Pro­be­be­trieb ge­ben. Die­ser soll auf zwei Flü­ge je Stun­de be­grenzt wer­den.
Gast­recht Be­trof­fe­ne Kom­mu­nen, die bis­her noch nicht Mit­glied der Flug­lärm­kom­mis­si­on sind, sol­len im wei­te­ren Ver­fah­ren min­des­tens ein Gast­recht in der Flug­lärm­kom­mis­si­on be­kom­men.

Kret­sch­mann „Der Aus­tausch hat ge­zeigt, dass es wich­tig war, al­le Be­tei­lig­ten an ei­nen Tisch zu ho­len, um das wei­te­re Ver­fah­ren zu be­spre­chen, fach­li­che Ar­gu­men­te aus­zu­tau­schen und of­fe­ne Fra­gen zu klä­ren“, sagte Minis­terpräsident Win­fried Kret­sch­mann nach der Krisenbesprechung.

Frid­rich „Es war ein sach­li­ches, gu­tes Mit­ein­an­der. Das Ge­spräch hat ge­zeigt, dass noch vie­le Fra­gen ge­klärt wer­den müs­sen“, lautet die Meinung von Nürtingens Ober­bür­ger­meis­ter ­Jo­han­nes Frid­rich.
Ma­trohs „Ich bin froh über die zahlreichen Klar­stel­lun­gen in die­sem Ter­min. Nach der Dis­kus­si­on kann auf ei­ner sach­li­chen Grund­la­ge ent­schie­den wer­den“, betonte Tho­mas Ma­t­rohs, Bür­ger­meis­ter der Ge­mein­de Dei­zi­s­au. jmf