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Die Erfahrung der Fachkräfte effektiver nutzen

Gesetz Pflegefachkräfte sollen mehr Kompetenzen erhalten und Ärzte entlastet werden. Kirchheimer Vertreter beider Bereiche sehen das positiv. Von Katja Eisenhardt

Das geplante Pflegekompetenzgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach soll Pflegefachkräften mehr Verantwortung übertragen. Archivfoto: Markus Brändli

Noch vor der Sommerpause will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen Entwurf für das geplante Pflegekompetenzgesetz vorlegen. Bei der Vorstellung der zentralen Eckpunkte im Dezember in Berlin wurde das Vorhaben sowohl seitens der Ärzteschaft als auch der Pflegenden positiv bewertet. So betonte Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt, die Notwendigkeit dieser Reform stehe außer Frage. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, sprach gar von einem „Quantensprung zur Aufwertung des Pflegeberufs“.

 

Die Kompetenzen sind vorhanden, können aber oft nicht eigenverantwortlich ausgeübt werden.
Daniela Hellrung
Pflegefachkraft

 

Daniela Hellrung arbeitet als Pflegefachkraft im ASB-Pflegeheim an der Lauter in Kirchheim. Sie bringt viel Erfahrung mit, hat seit ihrer Ausbildung zur Krankenschwester 1989 verschiedene berufliche Stationen durchlaufen. Hellrung arbeitete unter anderem jahrelang in einem Krankenhaus. „Dort habe ich Blasenkatheter oder Magensonden nach Anordnung des Arztes selbst gelegt. Auch Aufgaben wie die Blutabnahme lernt man schon während der Ausbildung. Die Kompetenzen sind vorhanden, können aber aufgrund der aktuell gültigen Vorgaben oft nicht eigenverantwortlich ausgeübt werden“, berichtet die Pflegefachkraft aus ihrem Arbeitsalltag.

Gerade für die Pflegeheime oder in der häuslichen Pflege sei das geplante Gesetz besonders relevant, „in den Kliniken wird teils schon jetzt entsprechend gearbeitet“. Definitiv führe die Ausweitung der Kompetenzen zu einer Zeitersparnis bis zur Behandlung: „Momentan braucht es für jede Kleinigkeit die Anordnung eines Arztes, oder er übernimmt die Behandlung selbst. Im Pflegeheim müssen wir zum Beispiel für das Legen eines Blasenkatheters den zuständigen Haus- oder Bereitschaftsarzt rufen. Wir dürfen den Katheter nicht selbst legen, selbst wenn wir es können“, erklärt Daniela Hellrung. Ähnlich sei es bei der Wundversorgung: „Beim ASB haben wir dafür einen externen Wundmanager. Den können wir nicht direkt anfordern, die Anfrage muss über den Hausarzt laufen“, ergänzt Daniela Hellrung. Kritisch sieht sie dagegen potenzielle neue Kompetenzen wie die Verordnung von bestimmten Medikamenten: „Das sollte auch weiterhin bei den Ärzten bleiben. Man könnte aber die Erfahrungswerte der Pflege verstärkt einbeziehen.“ Grundsätzlich sei die geplante Erweiterung der Kompetenzen in der Pflege positiv, „es kann aber natürlich Mehrarbeit zum regulären Pflegeauftrag bedeuten, der weiterhin im Vordergrund steht“, so Hellrung. Ob die Neuregelung den Beruf letztlich attraktiver mache, bleibe abzuwarten: „Da gibt es noch andere Faktoren wie zum Beispiel die Bezahlung.“  

Beschleunigte Behandlung ermöglichen

Barbara Munz, Pflegedirektorin der Medius-Kliniken Kirchheim/Nürtingen, und Gerd Hauffe, Pflegedirektor an der Medius-Klinik Ostfildern-Ruit, sehen eine Kompetenzerweiterung für Fachkräfte mit besonderen Weiterbildungen oder Studiengängen durchaus als Attraktivitätssteigerung: „Wir bemerken das schon jetzt, denn unsere akademisierten Pflegekräfte übernehmen im Rahmen des ‚Qualifikationsmix‘ bereits die im Pflegekompetenzgesetz vorgeschlagenen Aufgabenbereiche und sind sehr zufrieden. Für den gesamten interdisziplinären Behandlungsprozess der Patienten bedeutet das eine erhebliche Verbesserung“, berichtet Barbara Munz. Insbesondere in den Bereichen Wundversorgung, Behandlung von Diabetes mellitus, Blutdruck- oder auch Schmerzeinstellungen können Pflegekräfte eigenständig arbeiten und dadurch individuell und zeitnah die Patientenversorgung sicherstellen. „Ebenso werden wir an den Medius-Kliniken beispielsweise Patienten mit einem Delir künftig mit dem Konzept ‚Advanced Practice Nurse‘, einer speziell ausgebildeten Pflegekraft auf Masterniveau, unterstützen oder dem Delir vorbeugen können.“ Dabei handelt es sich um einen Zustand der akuten Verwirrung und Desorientierung, der oft plötzlich auftritt und sich schnell entwickelt. Es ist ein durchaus ernsthafter Zustand, der medizinische Aufmerksamkeit erfordert, da er auf eine Gesundheitsstörung hinweisen kann. 

Entlastung der Ärzte erwartet

Was den Fachkräftemangel angehe, sei es wichtig, dass die Rahmenbedingungen in Tarifregelungen schnell angepasst und die Tätigkeiten in der Personalbemessung eingeplant werden, so Gerd Hauffe. „Auch für Fachkräfte aus dem Ausland würde der Einsatz in Deutschland sicherlich attraktiver werden. Die Akademisierung der Pflege ist in Europa eigentlich schon Standard, da hinkt Deutschland eher noch etwas hinterher“, sagt der Pflegedirektor.

Professor Bernhard Hellmich, stellvertretender Klinikdirektor der Medius-Kliniken Kirchheim/Nürtingen sowie Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Rheumatologie, Pneumologie, Nephrologie und Diabetologie, bestätigt, dass das ärztliche Personal durch die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen an die Pflegefachkräfte in bestimmten Funktionen entlastet werde und sich so auf die ärztlichen Kernaufgaben fokussieren könne: „Das ist in Anbetracht des allgemeinen Ärztemangels von besonderer Bedeutung.“

Im Bereich der Rheumatologie oder Diabetologie können die Qualifikationen aus spezielleren Schulungen zur Erkrankung oder Medikamenten durch die Pflegekräfte angewendet und die standardisierte Erhebung von bestimmten Untersuchungen umgesetzt werden, erklärt Hellmich.

 

Mehr Kompetenzen – Effizientere Arbeitsabläufe

Verantwortung Das geplante Pflegekompetenzgesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sieht vor, Pflegefachkräften je nach Ausbildungsstand mehr Befugnisse zu übertragen. Angesichts des Fachkräftemangels sollen Pflegeberufe durch zusätzliche Kompetenzen attraktiver und die Ärzte­schaft im Berufsalltag entlastet werden.

Aufgaben Die vorgestellten Eckpunkte beinhalten zum Beispiel, dass Fachkräfte in der häuslichen Kranken­pflege selbst Leistungen verordnen können, etwa für die Wundversorgung oder Katheter. Bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit könnten die in der Versorgung tätigen Fachkräfte einbezogen werden. Geplant ist das für Deutschland neue Berufsbild der Advanced Practice Nurse. Wer die Ausübung von Heilkunde in einem Masterstudium gelernt hat, soll sie eigenverantwortlich umsetzen können. Dazu zählen zum Beispiel die Verordnung von häuslicher Krankenpflege, von Hilfsmitteln oder von bestimmten Arzneimitteln. eis