Ursprünglich kommt Benjamin Ferreau aus Kirchheim. Heute lebt und arbeitet der 37-Jährige in Hamburg. Er ist Manager und Dozent und hat sich den Themen Innovation, Digitalisierung und Automatisierung verschrieben. Darin sieht er gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen große Chancen. Voraussetzung: Mut zu Veränderung und die richtige Unterstützung.
Vor welche Herausforderungen stellt die Digitalisierung kleine und mittlere Unternehmen?
Benjamin Ferreau: Die digitale Transformation ist vergleichbar mit der industriellen Revolution. Wir durchleben einen ähnlich tiefgreifenden Wandel – nur die Zyklen sind wesentlich kürzer. Früher hat man gesagt, dass Familienunternehmen drei Generationen Zeit haben, sich an die Marktgegebenheiten anzupassen. Heute haben sie nicht mal mehr eine Generation Zeit.
Das führt zu großen Problemen – für die Sie nun eine Lösung gefunden haben. Sie bieten den Unternehmen dynamische Beiräte an.
Benjamin Ferreau: Genau. Gerade mittelständische Unternehmen haben oft traditionell einen festen Beirat aus drei bis fünf Leuten – nicht selten ältere Herren –, denen sie einmal im Quartal berichten. Das ist meiner Meinung nach aber nicht mehr zeitgemäß: Es gibt zu wenig Diversität, und die Strukturen sind zu starr. Deshalb habe ich ein Unternehmen gegründet, das einen dynamischen Beirat als Service
anbietet.
Wie sieht die Arbeit dieses innovativen Beirats aus?
Benjamin Ferreau: Wir treffen uns regelmäßig mit den Inhabern und der Geschäftsführung der Unternehmen und sprechen über aktuelle Herausforderungen, beziehen Stellung und unterstützen dabei, Entscheidungen zu treffen. Dabei setzen wir immer die Experten aus unserem dynamischen Beiratsteam ein, deren Fachwissen gerade relevant für die Herausforderung ist, vor der das Unternehmen steht. Mal geht es um Internationalisierung, mal um die Preisgebung und mal um E-Commerce.
Wie setzt sich der Beirat zusammen?
Benjamin Ferreau: Es sind Frauen und Männer, Jüngere und Ältere dabei, Stifungsprofessoren, Vorstände, aber auch junge Unternehmer. Alle verfügen sie entweder über Branchenkompetenz oder Fach- und Methodenkompetenz. Aktuell umfasst unser Team 20 Köpfe, es sollen aber mal an die 100 werden.
Können sich mittelständische Unternehmen so eine Beratung überhaupt leisten?
Benjamin Ferreau: Ja. Wir sind wettbewerbskonform. Das kleinste Modell kostet 10 000 Euro im Quartal, da haben die Unternehmen dann aber Zugriff aufs gesamte Portfolio.
Gibt es denn eine Erfolgsformel für Unternehmen in der heutigen Zeit?
Benjamin Ferreau: Ich glaube, dass sie ein gutes Maß zwischen Mensch und Technologie finden müssen. Technologie ist wichtig, löst aber nicht alle Probleme. Eine Erfolgsformel könnte also lauten: Mensch plus Technik geteilt durch gute Führung ist gleich ein guter Erfolgsquotient. Aber natürlich ist die Situation bei jedem Unternehmen individuell. Gerade im Mittelstand verdient man noch gutes Geld. Trotzdem müssen sich die Unternehmen wappnen, weil der Druck steigt – bei Medienunternehmen mehr, im Maschinenbau weniger. Da fehlen eher die Fachkräfte. Grundsätzlich bin ich überzeugt davon, dass man die alte Welt mit der neuen Welt verbinden kann.
Wie können Unternehmen die Transformation erfolgreich meistern?
Benjamin Ferreau: Die Kerndisziplin muss es sein, sich mehr und mehr dynamisch an den Markt anzupassen. Das ist vor allem eine kulturelle Herausforderung. Es gilt, die Organisation umzustrukturieren und den Mitarbeitern zu vermitteln, dass es etwas Gutes ist, sich zu verändern. Diese Angst vor Veränderung ist nämlich das größte Hindernis von Transformation.
Gibt es da große Vorbehalte?
Benjamin Ferreau: Ja, das ist ein Riesenproblem. Das Narrativ ist leider: Wir setzen Technologie ein, um alles zu automatisieren. Fachkräfte schließen daraus: Sie werden wegrationalisiert. Ich glaube aber nicht daran, dass alle wegrationalisiert werden. Man braucht immer Menschen, die die Technologie einsetzen können. Insofern sollte in Unternehmen der Fokus immer auf den Menschen liegen.
Welche Bedeutung haben die Mitarbeiter für Innovation?
Benjamin Ferreau: Innovation steckt in jedem Unternehmen. Ein Paradigma aber muss geändert werden: Wissen kommt nicht nur von den oberen Köpfen. Die Firmen haben tolle Mitarbeiter mit viel Wissen. Ein Lagerarbeiter weiß zum Beispiel genau, was nicht rund läuft. Die Frage ist: Wie kriege ich das extrahiert? Und wie bringt man ihm bei, dass er keine Angst haben muss, durch Wandel seinen Job zu verlieren?
Wie nimmt man diese Angst?
Benjamin Ferreau: Wenn ich automatisiere und Technologien einsetze, muss ich erklären, was zukünftig passiert, um Menschen mit auf Reise zu nehmen. Das ist herausfordernd – und eine Führungsaufgabe. Aber auch die Beiräte können dabei unterstützen.
Wie können Digitalisierung und Automatisierung in Unternehmen ohne größere Erschütterungen funktionieren?
Benjamin Ferreau: Das Stichwort lautet Corporate Learning. Man muss in die Mitarbeiter investieren und ihre Weiterbildung fördern. Allerdings fängt das Lernen immer bei den Geschäftsführungen an. Dabei muss nicht jedes Unternehmen eine neue Organisationsform wählen. Es müssen auch nicht überall Hierarchien abgeschafft werden wie bei Start-Ups, wo jeder mitentscheiden darf. Aber es muss sich dahin wandeln, dass jeder Mitarbeiter Gehör findet und sich auch traut, sein Wissen einzubringen.
Wie kommen Unternehmen mit diesem Prozess des Umdenkens klar?
Benjamin Ferreau: Das ist sehr schwierig. Je erfolgreicher Unternehmen werden, desto weniger Risiko wollen sie eingehen. Aber eine gewisse Risikobereitschaft ist notwendig, um einen neuen, angepassten Weg zu gehen – der übrigens auch scheitern kann. Aber darum muss man sich stetig wandeln. Transformation ist ein langfristiges Projekt –und das Umdenken geht immer schneller vonstatten. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen profitieren davon stetiger Begleitung und sollten offen sein, sich Sparring reinzuholen.
Haben Sie noch einen Tipp aus der Praxis für Mittelständler?
Benjamin Ferreau: Ja. Keine Angst haben. Das treibt zu falschen Entscheidungen. Man sollte alles mit Bedacht angehen und nicht in Panik verfallen, weil man eventuell den richtigen Zeitpunkt verpasst hat. Trotzdem sollte man aber auch nicht alles totreden. Nicht zu langsam und nicht zu schnell handeln also – einfach ein gutes Mittelmaß finden und immer mit Freude in die Zukunft blicken.
Akkuschrauber vermieten auf die digitale Art
Benjamin Ferreau ist 37 Jahre alt, lebt in Hamburg und kommt ursprünglich aus Kirchheim. Er ist Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen, an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg und bei Google Deutschland.
Drei Unternehmen führt Benjamin Ferreau aktuell, allesamt aus dem Bereich Digitalisierung und Innovation: Das Beiratsprojekt „81board“ hat er selbst gegründet, bei „UNIK“, einem Unternehmen für digitale Innovationen, war er Mitgründer. Außerdem ist er CEO bei „Kurts’s Toolbox“. Das Unternehmen vermietet via App rund um die Uhr an sieben Tage die Woche Werkzeuge an Privatleute. Akkuschrauber, Schlagbohrer, Betonmischer und Co. befinden sich in Schließfächern, die den DHL-Paktestationen ähneln. Entstanden ist „Kurt‘s Toolbox“ aus einem mittelständischen Unternehmen heraus, das auf diese Art digitale und analoge Welt auf innovative Art verbinden möchte.
Aufgewachsen ist Benjamin Ferreau in Kirchheim. Bei einer Druckerei in Ostfildern machte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und studierte anschließend an der Hochschule der Medien in Stuttgart Medien und Digitalisierung. Später war er bei Druckereien in Passau und im schleswig-holsteinischen Meldorf in leitenden Positionen tätig und hatte diverse Managerposten bei Digitalisierungsunternehmen inne.