Weilheim und Umgebung
Die Flucht der Romeikes vor der Schulpflicht

Religion   Familie Romeike ist 2008 in die USA geflohen, weil sie ihre Kinder nicht zuhause unterrichten durfte. Der Asylantrag ist gescheitert. Dank Tochter Lydia ist die Familie heute dennoch bekannter denn je. Von Antje Dörr

US-Asyl für Schulverweigerer“, „Flucht vor der Schulpflicht“, „Religiöse Verfolgung“: Der Fall der Bissinger Familie Romeike hat 2008 weit über das Verbreitungsgebiet des „Teckboten“ hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Weil die streng religiöse Familie ihre Kinder nicht zuhause unterrichten durfte, waren die Eltern Uwe und Hannelore mit ihren damals fünf Kindern in die USA geflohen und hatten Asyl beantragt. 2010 hatte ein Einwanderungsrichter dem Antrag stattgegeben und war damit der Begründung des Anwalts der Familie gefolgt, die Romeikes würden in Deutschland verfolgt. 

Gerichtsunterlagen geben einen Einblick in einen sehr schnell eskalierenden Konflikt, der die Familie dazu brachte, ihre Koffer zu packen und nach Tennessee auszuwandern, wo sie bis zum heutigen Tag lebt. Im Jahr 2006 hatten sich Uwe Romeike, der damals als Klavierlehrer arbeitete, und seine Frau Hannelore dazu entschlossen, ihre schulpflichtigen Kinder nicht mehr an die örtliche Grundschule in Bissingen zu schicken, sondern sie mit Hilfe der „Philadelphia-Schule“, einem christlichen Elternverein, daheim zu unterrichten. Einige Unterrichtsinhalte, beispielsweise die Sexualkunde, seien mit den Werten seiner Familie nicht vereinbar, argumentierte der Vater.

In der Urteilsbegründung des Richters werden weitere Gründe aufgeführt, die die Romeikes bewogen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen: Die Beschäftigung mit Evolution, die Billigung von Abtreibung und Homosexualität, der mangelnde Respekt gegenüber familiären Werten und die Beschäftigung mit Hexen und anderen okkulten Themen. 

 

Dieser eine Teil der Nazi-Gesetzgebung scheint immer noch in Kraft zu sein.
Lawrence O. Burmann, Einwanderungsrichter über die Umsetzung der Schulpflicht.

 

Bei den Behörden stieß das Vorgehen der Romeikes selbstverständlich auf Widerstand. In der Argumentation des Anwalts der Familie, Michael Donnelly, wird detailliert aufgeführt, wie der damalige Rektor der Bissinger Grundschule Wolfgang Rose, der ehemalige Bissinger Bürgermeister Wolfgang Kümmerle und der Ex-Schulamtsdirektor Dr. Günter Klein auf die Familie einzuwirken versuchten – ohne Erfolg. Bereits am 9. Oktober, also kurz nach Beginn des Schuljahrs, in dem die Kinder des Paares nicht in der Schule auftauchten, soll Wolfgang Kümmerle den Romeikes schriftlich angedroht haben, die Kinder von der Polizei abholen zu lassen. Nur elf Tage später, am Freitag, 20. Oktober, um 7.30 Uhr standen laut Gerichtsbericht Polizeibeamte vor dem Haus der Romeikes und fuhren die weinenden Kinder in die Schule. Am folgenden Montag, nur drei Tage später, wurde der erneute Versuch der Polizei, die Kinder in die Schule zu bringen, von protestierenden Nachbarn verhindert, die die Straße blockierten.

Weitere solche Versuche hat es wohl nicht gegeben – vielleicht auch deshalb, weil ein Arzt ein Attest ausstellte, das belegen sollte, dass die psychische Gesundheit der Kinder in Gefahr war. Allerdings kletterten die Bußgelder rasch in Regionen, die für die Romeikes offenbar existenzbedrohend wurden: von rund 450 Euro im Dezember 2006 auf eine Forderung von rund 3000 Euro im März 2008. Die Sorge, ihr Heim zu verlieren, aber vor allem die Angst, dass ihnen das Sorgerecht für die Kinder genommen werden könnte, hätten die Familie schließlich bewogen, in die USA zu fliehen, so ihr Anwalt. 

Mit dem Richterspruch von 2010, der den Romeikes Asyl gewährte, war der Weg durch die Instanzen jedoch nicht zu Ende. 2012 kassierte das U.S. Board of Immigration das Urteil. Begründung: Das Verbot, Kinder in Deutschland zuhause zu unterrichten, richte sich nicht gegen eine bestimmte Gruppe, beispielsweise evangelikale Christen, sondern betreffe alle Deutschen. Deshalb könne man auch nicht von Verfolgung sprechen. Damit war der Asylantrag gescheitert, den Romeikes drohte die Abschiebung nach Deutschland. 2014 entschied die Heimatschutzbehörde, dass die Familie auf unbegrenzte Zeit in den USA bleiben darf – auch ohne Staatsbürgerschaft. Sie erhielt einen deferred status, eine Art Duldung. 

Danach reißt die Berichterstattung über den Fall ab. Nur die Home School Legal Defence Association (HSLDA), die die Romeikes und andere Home-Schooler unterstützt, berichtet, dass die Familie 2019, also unter der Präsidentschaft Donald Trumps, erneut aufgefordert worden sei, das Land zu verlassen. Offenbar sind die Romeikes der Aufforderung jedoch nicht nachgekommen: Das Paar lebt mit einem Teil seiner mittlerweile sieben Kinder in Tennessee. Rebecca und Sarah Romeike, die beiden jüngsten, in den USA geborenen Töchter, sind US-Staatsbürgerinnen, was eine Abschiebung erschweren dürfte, wie die Internetseite „Fundamentalists.wiki“ in ihrem Artikel über die evangelikale Familie mutmaßt. 

 

Wenn der Herr Jesus uns woanders haben will, wollen wir gehorchen und gehen.
Hannelore Romeike

 

Ein ausführliches Interview möchte Hannelore Romeike nicht geben, sagt nur, dass die Geschichte von Gott noch nicht abgeschlossen sei und sich an ihrem legalen Status nichts geändert habe. „Wir fühlen uns sehr wohl hier und unsere Kinder auch“, teilt Hannelore Romeike via Instagram mit. „Aber wenn der Herr Jesus uns woanders haben will, wollen wir gehorchen und gehen.“ 

Öffentlich treten in den USA hauptsächlich Christian und Lydia Romeike in Erscheinung, die bei der Auswanderung der Familie sechs und zehn Jahre alt waren. Christian Romeike arbeitet als Fotomodell. Lydia Romeike, die sich und ihr Leben auf Instagram vor immerhin fast 23 000 Followern inszeniert, bezeichnet sich als Fotografin. Momentan tritt sie hauptsächlich als Verlobte von Trace Bates in Erscheinung. Bates ist der Spross einer baptistischen Familie, die sage und schreibe 19 Kinder hat. Das Leben der Familie wurde neun Staffeln lang in der Fernsehserie „Bringing up Bates“ verfilmt. Am 21. März 2022 hat Bates auf der Dachterrasse eines Hotels vor US-Weekly-Fotografen um die Hand von Lydia Romeike angehalten. Die Fotos wurden später in dem Magazin veröffentlicht. Trace und Lydia posten regelmäßig Videos auf ihrem Youtube-Kanal. Die Hochzeit ist für Oktober geplant.

Trace Bates ist keine unumstrittene Figur: Wie mehrere Medien berichteten, war der junge Mann unter den Trump-Anhängern, von denen einige am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmten. Ein Foto zeigt ihn vor Ort. Sein Bruder Lawson, der ebenfalls dabei war, streitet jedoch ab, dass die Brüder unter jenen Demonstranten gewesen sind, die in das Gebäude eingedrungen seien. Sie hätten lediglich friedlich demonstriert. upTV, der christliche Sender, von dem „Bringing up Bates“ bis 2021 produziert wurde, teilte auf Druck von Zuschauern mit, es gebe keinen Beweis, dass sich die Brüder an gewaltsamen Handlungen beteiligt hätten. Bei dem Sturm aufs Kapitol waren 140 Menschen verletzt worden, darunter viele Polizisten. Lydia Romeike scheint mit der politischen Einstellung ihres künftigen Ehemanns kein Problem zu haben. Auf Instagram präsentiert sie sich bereits im Brautkleid.