Zwischen Neckar und Alb
Die Gesellschaft altert, und die Uhr tickt

Politik Der Nürtinger Thaddäus Kunzmann war von März 2017 bis April 2021 Demografiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Nun wurde die Aufgabe gestrichen. Im Interview nimmt er Stellung dazu. Von Anneliese Lieb

Im Evaluationsbericht des Sozialministeriums zur Stelle des Demografiebeauftragten heißt es, dass die Tätigkeit nicht die gewünschte Breitenwirkung hatte. Enttäuschung herrscht nicht nur beim ehemaligen Nürtinger CDU-Landtagsabgeordneten, der der erste Demografiebeauftragte des Landes Baden-Württemberg war, sondern auch beim VdK und beim Landesseniorenrat.

Herr Kunzmann, die Landesregierung wurde neu gebildet. Sie als Demografiebeauftragter sind in der neuen Legislaturperiode leider nicht mehr dabei. Was war aus Ihrer Sicht die Ursache für diese Entscheidung?

Thaddäus Kunzmann: Die totale Fixierung auf den Klimaschutz. Diese Fixierung hat alle anderen Themen ausgeblendet. Demografie ist zudem nicht populär, weil es sich mit dem eigenen Älterwerden und den damit verbundenen Herausforderungen auseinandersetzt. Niemand stellt sich gern die Frage, was im Alter sein wird. Trotzdem müssen wir uns alle dringend damit auseinandersetzen. Alle, die mit Demografie zu tun haben, wissen, dass die Uhr tickt. Denn alle geburtenstarken Jahrgänge befinden sich im Schlussspurt ihres Berufslebens. Das kann für meine Generation und die folgenden zur Falle werden.

Im Sozialministerium vertrat man die Auffassung, dass Beauftragte zu wenig bewegen können. Haben Sie das auch so empfunden?

Kunzmann: Die Frage ist doch, mit welchen Aufgaben und Möglichkeiten stattet man einen Beauftragten aus? Wenn man ihn laufen lässt und ihm nicht die nötigen Kompetenzen gibt, dann ist er ein König ohne Land. Man kann Beauftragte aber auch so ausstatten, dass sie handeln können. Die Landesregierung hätte die Stelle auch anders ausgestalten und von Anfang an andere Rahmenbedingungen vorgeben können.

Sie sind viel durchs Land gereist, haben Vorträge gehalten und haben viele Kontakte geknüpft. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich konnte die Menschen zum Nachdenken bringen. Aber es ist nicht immer einfach, manchmal war Überzeugungsarbeit erforderlich. Das Alter hat eben nicht nur schöne Seiten, auch Herausforderungen, wie zum Beispiel die Pflege, müssen zur Sprache kommen. Die Sozialverbände und Seniorenräte haben sich stark interessiert. Gefehlt hat es eher am Interesse meiner eigenen Generation. Wenn man allerdings mit den Leuten gesprochen hat, wurden sie sensibilisiert. Dass das Thema Demografie nun im Koalitionsvertrag nicht mehr die Bedeutung hat, kann zum Nachteil für die Gesellschaft im Land werden. Denn die richtigen Herausforderungen treten in fünf oder zehn Jahren geballt auf. Es muss aber jetzt gehandelt werden.

Der Begriff Demografie bezieht sich ja nicht nur aufs Alter.

Das ist richtig. Die Stelle hat sich jedoch entwickelt aus der Enquetekommission „Pflege der Zukunft“ des Landtags, deren CDU-Sprecher ich bis März 2016 war. Und aus diesen Erfahrungen heraus wurde die Richtung für die Aufgaben des Demografiebeauftragten vorgegeben. Im damaligen Koalitionsvertrag wurde die Stelle im Kapitel Senioren untergebracht. Und damit war klar, es geht um die älter werdende Gesellschaft. Selbstverständlich wird auch ein Kind jeden Tag älter. Aber im Fokus standen die geburtenstarken Jahrgänge, die langsam aber sicher ins Rentenalter kommen. Es war auch mein Hauptgedanke, dass es nicht um die Senioren von heute gehen kann – für die ist der Tisch gedeckt –, sondern um die Senioren der Zukunft.

Der VdK hat bedauert, dass die Querschnittsaufgabe gestrichen wurde. Haben Sie noch mehr Rückmeldungen bekommen?

Ja, von den Netzwerken, die ich hatte. Neben dem Sozialverband VdK hat sich auch der Landesseniorenbeirat öffentlich zu Wort gemeldet. Ich hatte ja einen Demografiebeirat gebildet, der breit aufgestellt war und sich zum Beispiel mit dem Thema Wohnen im Alter befasst hat. Da waren Vertreter von Haus und Grund ebenso dabei wie von Genossenschaftsverbänden oder der Architektenkammer. Sie alle haben sich bei mir gemeldet. Das hat mich gefreut.

Hätte das Ministerium von Anfang an andere Rahmendaten vorgeben müssen, um der Position des Demografiebeauftragten mehr Gewicht zu geben?

Ich will mich nicht beschweren, was in den vergangenen vier Jahren war. Das Ministerium hat den Koalitionsvertrag und den Kabinettsbeschluss umgesetzt. Wenn die Position des Demografiebeauftragten erhalten worden wäre, hätte man ihr aber einfach mehr Möglichkeiten geben müssen. Aus meiner Sicht hätte man die Stelle im Staatsministerium ansiedeln müssen. Schließlich ist es eine ministeriumsübergreifende Aufgabe, die ja auch mit Themen wie Wohnen, Mobilität, Ländlicher Raum, Nahversorgung oder Digitalisierung zu tun hat. So hätte man die Position unbedingt weiterentwickeln müssen.

Wie viele Mitarbeiter hatten Sie?

Ich hatte vier Mitarbeiter.

Welches Fazit ziehen Sie nach fünf Jahren als Demografiebeauftragter?

Ich hätte gerne weitergemacht. Ich bin verwachsen mit dem Thema. Ich bin gut gelaufen und aus dem vollen Lauf aus der Bahn geworfen worden. Ein Fazit finde ich da schwierig. Selbst wenn das Ministerium mit dem Beauftragten und dem Kunzmann nicht zufrieden war, hätte ich mir ein Signal gewünscht, in welche Richtung es weitergeht. Auch im Koalitionsvertrag wird dazu leider keine Aussage getroffen. Wie will man die Aufgabe angehen? Die Gesellschaft altert. Die Entwicklung ist nicht mehr umzudrehen. Jedes einzelne Ministerium soll sich jetzt mit Demografie befassen? Ich befürchte, dass dieses wichtige Thema untergeht. Denn es wurde versäumt, konkrete Arbeitsaufträge zu erteilen. Der Koalitionsvertrag gibt diesbezüglich nicht viel her.

Glauben Sie, dass Ihre Äußerungen in den sozialen Medien zum Tod von George Floyd vor einem Jahr Ihnen beruflich geschadet haben und die Stellenstreichung des Demografiebeauftragten damit in Zusammenhang stehen könnte?

Meine Aussagen wurden damals bewusst aus dem Zusammenhang gerissen und so lange im Munde herumgedreht, bis das gewünschte Ergebnis herausgekommen ist. Genutzt hat mir das sicherlich nicht.

Sie waren ja nicht nur Beauftragter, sondern auch Landtagskandidat. In der Koalition wurden die Schwerpunkte neu gesetzt. Hat sich die CDU unter Wert verkauft?

Ich finde schon, dass sich die CDU in Baden-Württemberg in Bezug auf ihre inhaltlichen Ziele kleingemacht hat. Ich will es nicht kritisieren. Das Wahlergebnis brachte klare Mehrheitsverhältnisse und die CDU musste kämpfen, dass sie in die Regierung kommt. Das heißt natürlich auch, dass die CDU Zugeständnisse machen musste. Aber 24 Prozent sind 24 Prozent. Mir fällt es schwer, in der Koalitionsvereinbarung diese 24 Prozent zu finden. Man kann natürlich das zusätzliche Ministerium und die zusätzlichen Staatssekretäre aufwiegen. Aber inhaltlich haben sich viele von uns schwergetan.

Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen?

Ich hätte mir mehr gewünscht. Vor allem natürlich zum demografischen Wandel. Ein klares Prä, wie geht es zum Beispiel mit dem Wohnen weiter? Verschlüsselt kann man zwar schon eine Aussage finden, dass es um mehr altersgerechtes Wohnen geht. Aber wir brauchen auch insgesamt mehr Wohnraum. Die Häuser kann man ja nicht in der Luft bauen. Mir fehlen auch klare Aussagen zur Verkehrsinfrastruktur. Es wird immer von neuer Mobilität gesprochen. Aber dazu gehört auch, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken.

Aber Nahverkehr hat doch auch mit Klimaschutz zu tun.

Zunächst kostet Klimaschutz nicht viel. Das hat der Ministerpräsident ja bereits festgestellt. Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass somit die Belastung der Bürger deutlich zunehmen wird. Auch angesichts der Tatsache, dass es immer schwerer wird, Altersvorsorge vor dem Hintergrund der Null-Zins-Politik zu betreiben, kann man nicht die Generationen, die noch im Arbeitsleben stehen, immer mehr belasten. Wir müssen aufpassen, sie nicht zu überfordern.

Wie geht es für Sie persönlich jetzt weiter?

Ich mache mir im Moment keine Sorgen. Ich bin suchend und halte die Augen offen. Ich verbringe deshalb aber keine schlaflosen Nächte. Jetzt kann ich mich wieder mehr in die Kommunalpolitik einmischen. Und im Ehrenamt als CDU-Mitglied kann ich unseren Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich im Wahlkampf in seinem Wahlkreis unterstützen.