Kirchheim. Mit einem Stock begnügt sich Emma Forkl nicht, sie nimmt lieber gleich zwei. Allerdings braucht die bald elffache Uroma die Stöcke nicht zum Abstützen, sondern zum Sportmachen. Mit zwei Stöcken geht es dann zum Nordic Walking durch Lindorf. „Meine Nachbarn kennen das schon“, sagt sie lachend. Dass Emma Forkl am morgigen Sonntag 90 wird, entnimmt man weder ihrem aufmerksamen Blick noch ihrem aufrechten Gang, der von regelmäßiger Bewegung und einer guten Haltung zeugt. Die Antwort auf die unvermeidliche Frage nach dem Rezept für die Fitness im hohen Alter folgt prompt. „Die große Familie hält einen jung“, sagt sie.
Ihre vier Kinder haben ihrerseits für weitere Generationen der Forkls gesorgt: Zwölf Enkel und zehn Urenkel mit ihren jeweiligen Partnern werden zur Geburtstagsfeier erwartet. Der elfte wird auch schon dabei sein, aber noch im Bauch seiner Mutter. Auch aus dem Elsass wird Besuch erwartet. Die Familie ist über die ganze Welt verteilt, im krisengebeutelten Venezuela wohnt ein Cousin der Jubilarin. Den unterstützt die Familie von Kirchheim aus so gut es geht.
Familiensinn wird großgeschrieben bei den Forkls. Ursprünglich stammt Emma, geborene Adam, aus dem Sudetenland. Ihre Familie war im Städtchen Römerstadt am Fuße des Altvatergebirges seit dem 13. Jahrhundert ansässig und hatte sich dort als eine der wohlhabenden Familien etabliert. „Wir hatten 48 Hektar Land, Reitpferde und eine Mühle“, erzählt Emma Forkl. Alle Kinder hätten aber immer mit anpacken müssen. Die Adams lebten unter Deutschen, zu Hause wurde nur deutsch gesprochen. Aber als die Deutschen auch die Macht ergriffen, spürte die Familie die Veränderung. Richtig wohl fühlte man sich damals nicht. „Die Partei“ der Nationalsozialisten kontrollierte plötzlich alles bei ihr im Ort. Daran kann sich Emma Forkl noch gut erinnern.
Nach der Vertreibung 1946 landete die Familie im bayerischen Burgau. Die 18-jährige Emma musste als Dienstmagd Boden schrubben, es waren harte Zeiten, zu essen gab es wenig. Aus der Zeit kann sie sich an viel Ablehnung erinnern. Aufgeschlossener waren die Männer, die aus dem Krieg heimkamen. „Die hatten die Welt gesehen“, sagt sie. So auch ihr späterer Mann Josef, der aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Mit ihm zog sie nach Kirchheim, weil er beim Elektronikfachgeschäft Rabenhorst eine Anstellung fand. Anfangs wohnte das junge Paar in einer Dachgeschosswohnung und sparte fleißig auf ihr heutiges Haus in Lindorf. Emma arbeitete damals in einer Näherei, bis das erste Kind kam.
In diese Zeit fällt auch eine ganz besondere Begebenheit. Beim Spaziergang durch Kirchheim hat sie unvermittelt auf einer Brücke eine unerwartete Begegnung gehabt. Ihre alte Schulfreundin Magda aus Römerstadt kam ihr dort entgegen. Dieses Treffen ist mittlerweile mehr als 60 Jahre her, der Kontakt besteht aber bis heute. Kein Wunder also, dass Emma Forkl über Römerstadt sagt: Die Erinnerung ist schön, aber mich zieht da nichts mehr hin. Meine Heimat ist hier.“ Thomas Zapp