Morgen wäre vielerorts der Startschuss gefallen. Für eine Saison, in der das Leben in Festzelten pulsiert, in der Dorfgassen zu Flaniermeilen werden und ganze Gemeinden sich selbst feiern. Das Vereinsfest, die Hocketse - das wird es in diesem Sommer nicht geben. Bis 31. August sind sämtliche Großveranstaltungen verboten. Was danach kommt? Keiner weiß es.
Eine Situation, die so noch niemand erlebt hat. Auch die nicht, die den meisten anderen in puncto Lebenserfahrung weit voraus sind. Fritz Nuffer feiert in wenigen Tagen seinen 91. Geburtstag. In seinem wachen Kopf hat Platz, wofür andere raumfüllende Archive brauchen. Dass das Virus auch vorm kulturellen Erbe nicht Halt macht, treibt den Hüter allen Wissens um die Owener Stadtgeschichte in diesen Tagen um. „Kein Maientag, das gab es in Friedenszeiten zuletzt 1946“, sagt er. Ein den Nachkriegswirren geschuldeter Verzicht auf eine Tradition, deren Wurzeln - nach dem, was man weiß - bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückreichen. Einen Krieg hat sie zwar keinen erlebt, ihr Kampfgeist hat sie dennoch schon über manchen Abgrund hinweggetragen: „Ich bin von Natur aus ein grundoptimistischer Mensch“, sagt Owens Bürgermeisterin Verena Grötzinger. „Wer sagt Ihnen, dass wir unseren Maientag nicht im September oder Oktober feiern?“
Auf der zweiten Jahreshälfte ruhen auch die Hoffnungen in Weilheim. Mit dem Künstlermarkt und dem Kirschblütentag fielen hier schon im April zwei Besuchermagneten Corona zum Opfer. Was für das Kunstgewerbe der Markt, ist für die örtlichen Vereine das jährliche Städtlesfest. Gelegenheit, sich einem breiten Publikum zu zeigen und das Vereinsjahr finanziell auszupolstern. „Vor allem der Markt ist für Künstler von existenzieller Bedeutung“, sagt die Veranstaltungsmanagerin der Stadt, Andrea Bauknecht. Deshalb wolle man zumindest hier versuchen, einen späteren Termin hinzubekommen. Beim Städtlesfest wird das kaum möglich sein. Für ein Fest dieser Größe braucht es einen verlässlichen Termin. „Das bedeutet Monate der Vorbereitung“, klärt Bauknecht auf.
Welche Folgen der Stillstand für den Zusammenhalt in der Gemeinschaft bedeutet, beschäftigt auch Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle. Ein Jahr ohne volle Festkasse lasse sich für einen Verein zur Not noch aushalten, sagt er. „Viel mehr Sorge bereiten mir die Menschen, die schwer unter der Isolation leiden.“ Dass das Ehrenamt Schaden nehmen könnte, dem setzt auch Züfle einen optimistischen Blick entgegen. „Wir erleben im Moment eine Solidaritätswelle in fast allen Bereichen“, sagt der Schultes. „Ich bin zuversichtlich, dass wir danach auch neue Gesichter sehen werden, die sich ehrenamtlich engagieren.“
Dass mancher Macher nach der Krise nicht mehr vorneweg gehen könnte, fürchten andere schon. Armin Ehni ist einer von vier Vorstandsmitgliedern im Musikverein Gutenberg. Der hätte morgen gemeinsam mit dem Turnverein den Höhlenhock droben in Krebsstein veranstaltet. Ein Termin, der in der Vergangenheit schon öfter Regen und Kälte zum Opfer fiel. Viel härter trifft die Gutenberger deshalb, dass es in diesem Jahr auch keine Lauterhocketse geben wird. Mit den Einnahmen beim wichtigsten Dorffest finanziert der Verein mit seinen 28 Musikern unter anderem den Dirigenten. Der Rest wandert ins Sparschwein, um, wenn nötig, neue Uniformen anschaffen zu können. „70 Prozent unseres Budgets fehlen in diesem Jahr“, sagt Ehni, der mehr noch als das Loch im Portemonnaie den Motivationsverlust fürchtet. Eine Kapelle lebt vom Zusammenspiel. Das wird es auf absehbare Zeit weder auf der Bühne noch im Proberaum geben. Seine Sorge: Dass der eine oder andere in diesem Sommer merkt, dass es auch ohne geht. „Wir sind ein kleiner Verein“, sagt Armin Ehni. „Wenn bei uns fünf Jüngere nicht mehr mitmachen, ist die Lücke groß.“