Oberst d.D. Wolfgang Richter ist ein anerkannter Sicherheitsexperte und gefragter Gast in Talkshows. Dass die Russen große Probleme haben werden, wenn sie die Ukrainer angreifen, hat der ehemalige Bundeswehroberst und heutige Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik schon vor dem Einmarsch russischer Truppen vorhergesagt. Er gibt auf dem Online-Vortrag auf Einladung der Kirchheimer Friedensinitiative aber auch unumwunden zu: „Wir haben die Risiken richtig eingeschätzt, aber er hat uns doch überrascht.“ Tatsächlich habe der neoimperialisitsche Narrativ Putins seine strategischen Bedenken überwogen. „Die Ukraine hat für ihn kein Existenzrecht.“
Eingebettet ist diese Sichtweise in einen Konflikt mit der Nato, die für Putin mit Amerika gleichzusetzen sei. Die Anerkennung des Kosovo 2008 durch westliche Staaten und die westliche Unterstützung der „Maidan-Bewegung“ in der Ukraine 2014 hätten in Russland die Angst vor einem Nato-Beitritt der Ukraine und den Verlust der Schwarzmeerflotte geschürt. Folge sei die Besetzung der Krim gewesen. In manchen Gebieten kämpften schon seit langem pro-russische Separatisten gegen ukrainische Freiwilligenbataillone. Das erkläre auch die Gewalt. „Da sind noch alte Rechnungen offen.“
Wolfgang Richter ist als ehemaliger Soldat sowie viel gefragter Militär- und Rüstungsexperte ein eher ungewöhnlicher Gast bei einer Friedensinitiative, aber: „Viele unserer Ziele sind aber gleich“, sagt er. Der Weg dahin könnte allerdings unterschiedlich sein. Denn eine Alternative zur derzeitigen brutalen militärischen Auseinandersetzung sieht er kurzfristig nicht. „Es geht erstmal darum, eine unbeabsichtigte Eskalation zu verhindern, etwa fehlgeleitete Raketen“, sagt Richter. Eine Flugverbotszone hält er dagegen für kontraproduktiv. „Wir müssen einen europäischen Flächenbrand verhindern.
Gleichzeitig erhöhe die fortlaufenden Kämpfe auch den Leidensdruck und führten verstärkt zur Kompromissbereitschaft, auch auf russischer Seite. „Die sind jetzt in Stadtkämpfen verfangen, mittlerweile sind 50 Prozent aller Bodentruppen in der Ukraine im Einsatz“, erklärt der Militärexperte, dass der Nachschub russischer Truppen nicht unendlich sind. Für Kiew gebe es 25 Bataillone mit 5000 bis 6000 Soldaten. „Das sind Tropfen in diesem Häusermeer“. Daher gebe es Flächenfeuer, aber keine Gebäudegewinne. „Derzeit wird die Bereitschaft für Kompromissfrieden auf dem Schlachtfeld erzeugt“, sagt er. Wer soll Putin also Einhalt gebieten? „Diktatoren haben sich schon öfter verrannt“, sagt er.
Wichtig sind „Garantie-Mächte“
Die Forderungen Russlands sind bekannt: Unter anderem eine neutrale Ukraine nach Vorbild Finnlands. „Da 1geht es darum, wie man den neuen Status der Ukraine sichern kann, wenn sie nicht in der Nato ist.“ Wichtig seien neutrale Garantiemächte, die nicht zu schwach sind, denen Russland aber vertraut, etwa China. Auch die OSZE oder die UNO müsse ins Spiel kommen. Danach sei die Forderung nach „Demilitarisierung“ zu klären, etwa keine Stationierung fremder Truppen. An der De-Facto-Kontrolle der Krim durch Russland. werde sich nichts ändern.
Die Ursachen für den Krieg verortet auch Wolfang Richter im Fehlverhalten der Nato: Die Aufkündigung von fünf Waffen-Kontroll-Abkommen mit Russland durch die Regierungen Bush und Trump, Obamas Reset der Russland-Politik mit seiner Einstufung des Riesen als „Regionalmacht“: Tatsächlich sieht Richter die Bedrohung durch die USA gemeinsam mit dem drohenden Nato-Beitritt der Ukraine als Hauptursache der russischen Aggression.
Was Putin mit dem Krieg erreicht habe, sei das Gegenteil: „Er hatte gedacht, dass Ukrainer befreit werden wollen. Stattdessen hat er sie stärker zu einer Nation gemacht. Die EU ist gefestigter denn je und die Nato geeinigt.“
Was danach kommt, ist ihm auch schon klar. „Es gibt einen neuen kalten Krieg mit einem eisernen Vorhang und einer neuen Abschreckung“, sagt er. Freilich wird der „Vorhang“ weiter östlich fallen. Wichtig sei aber eine neue Rüstungskontrolle. „Die Alte Welt mit der OSZE -Ordnung ist obsolet, das Vertrauen irreparabel geschädigt“, sagt er. Und Abschreckung alleine tendiere zur Instabilität, deshalb sei der Dialog wichtig. „Wir werden Russland weiter brauchen, für den Kampf gegen den Terror, gegen den Klimawandel und vieles mehr, sagt er. Vor einer dauerhaften ökonomischen Isolation Russland warnt der Experte ausdrücklich: „Das kann Russland provozieren und die Bevölkerung hinter Putin vereinen.“