Constantin Baki (links) und Musa Akgündüz legen Hand an die Tuffverkleidung. Fotos: Roberto Bulgrin
Der Rückschritt macht Fortschritte. Schritt für Schritt, oder buchstäblich Stück für Stück, verschwindet die Johanneskirche derzeit aus dem Wendlinger Stadtbild - im für einen Sakralbau jugendlichen Alter von nur 60 Jahren. Mit seinen Mitarbeitern trägt der Esslinger Steinmetz Constantin Baki die Tuffsteine ab, mit denen die Fassade der im Jahr 1960 errichteten Kirche verkleidet ist. Die Steine sollen an der Fassade des Gemeindezentrums, das die zum Abbruch freigegebene Kirche ersetzen wird, wieder verwendet werden.
Aufsägen, anbohren, aushebeln - das ist der Dreiklang, der auf dem 14 Meter hohen Gerüst an der Nordfassade der Kirche gerade den Takt angibt. Musa Akgündüz heißt der Mann mit dem besonderen Händchen für den Tuff. Er teilt die Fassadensteine in handliche Stücke und löst sie aus der Wand. Seit einem Monat steht Musa Akgündüz nun auf dem Gerüst und beobachtet die Albstraße und den angrenzenden Wendlinger Rathausplatz aus der Vogelperspektive. Auch für ihn als Muslim ist es nicht einfach, Hand an eine Kirche zu legen. „Eine Kirche ist wie eine Moschee auch ein Gotteshaus, in dem die Menschen die Verbindung zu Gott aufnehmen“, sagt er.
Wenn die Johanneskirche komplett ihrer Kleider entledigt ist, was voraussichtlich in der ersten Juni-Woche sein wird, haben die Steinmetze ihre Arbeit getan. Zuerst werden noch die Fenster gesichert, doch dann beginnt die Phase des „harte Abrisses“, wie es der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Wendlingen, Peter Brändle, nennt. Der massiven Betonhülle ist nicht mehr mit Säge und Stemmeisen, sondern nur noch mit der Abrissbirne beizukommen.
Absolutes Neuland betreten
Noch aber ist die Steinsäge das Handwerkszeug der Wahl. Mit dem Abbau der Fassade betritt der erfahrene Steinmetzmeister Constantin Baki absolutes Neuland - und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Baki, der rund zehn Jahre lang die Frauenkirche Esslingens restauriert hat, ist nicht völlig unvorbereitet an die Wendlinger Aufgabe gegangen. „Ich habe mir das gut überlegt. Zuerst hatte ich wirklich Skrupel, den Auftrag anzunehmen. Die Entscheidung ist dann in der Diskussion mit der Familie gefallen“, sagt er.
Eigentlich sei seine Berufung und sein Auftrag als Steinmetz, historische Gebäude zu restaurieren und zu erhalten. „Aufbauen ja - aber in so großem Stil abgebaut habe ich noch nie, und dann auch noch eine Kirche“, gesteht Baki. Schließlich habe der Pragmatismus überwogen. „Wenn ich es nicht machen würde, dann würde es halt ein anderer machen“, sagt er. Zudem habe er als Chef auch eine Verantwortung seinen Leuten gegenüber. „Ich wusste, ich habe die richtigen Jungs für die Arbeit“, ist er sich sicher. Neu ist für den Steinmetz auch die logistische Herausforderung, die mit dem Abbau einhergeht. „Der Auftrag erfordert viel mehr Organisation rund um die Baustelle“, sagt Baki, zumal auch noch tonnenweise Kalkmörtel anfällt, mit dem die Tuffsteine unterfüttert worden waren. In der Regel sind Steinmetze eher kleinräumig unterwegs, immer entlang der imaginären Schnittstelle zwischen Kunst und Handwerk. Jetzt stehen immerhin 440 Quadratmeter Tuffgestein zum Abbau an. Davon sollen mindestens 380 Quadratmeter gesichert und vor der Wiederverwendung am neuen Gemeindehaus irgendwo geparkt werden. Das Problem hat Baki gelöst, indem er ein Gewächshaus in Wernau als Zwischenlager angemietet hat.
Tuff ist rar
Den Naturstein weiß er zu schätzen. „Das ist ein tolles Material. Leicht, einfach zu bearbeiten und von hoher Dämmleistung“, schwärmt er. Allerdings gibt es ein Nachschubproblem. Kalktuff von der Schwäbischen Alb ist kaum noch zu bekommen. Das Material wird nicht mehr abgebaut, die Steinbrüche sind stillgelegt. „Die Wendlinger Steine kommen aus Gönningen. Dort ist der Abbau schon im Jahr 1975 eingestellt worden“, sagt Baki. Früher waren die Steine dort und im Seeburger Tal noch im großen Maßstab abgebaut worden. Tuff von der Schwäbischen Alb ist beim Bau des Berliner Olympiastadions ebenso zum Einsatz gekommen, wie auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände sowie beim Tübinger Schlosstor.
Die Tuffverkleidung, die kunstvollen Kirchenfenster, das Altarkreuz und der frei stehende Turm sind vier Gebäudeelementen, die im neuen Gemeindezentrum wieder Verwendung finden sollen. Kein Platz mehr ist dann für die Orgel, die inzwischen von einem Fachbetrieb abgebaut und in einer Turnhalle zwischengelagert wurde. Sie soll verkauft werden. Einen Interessenten gibt es schon.