Weilheim · Lenningen · Umland
Die Kraft des Wassers nutzen

Energie Das Dettinger Wasserschlössle steht und arbeitet seit fast 100 Jahren. Im Rahmen einer Exkursion erfahren historisch Interessierte, welchen Stellenwert es in der Geschichte des Orts hat. Von Daniela Haußmann

Am 20. April 1945 zerstörte ein Bombenangriff den Dettinger Ortskern. Dabei kamen nicht nur Menschen zu Schaden, auch 69 Häuser wurden laut dem Historiker Dr. Eberhard Sieber in Schutt und Asche gelegt - darunter so manche architektonische Besonderheit. Doch eines dieser aus Stein gebauten Kleinode hat das Bombardement schadlos überstanden: das Wasserwerk am Rand der Schlossgemeinde. Umrahmt von sattgrünen Wiesen, hohen Bäumen und der Lauter, die sich idyllisch durch die Landschaft schlängelt, scheint der Turm des 1921 und 1922 erbauten Gebäudes den Himmel zu berühren. „Selbst heute noch wird der Wert des Elektrizitätswerkes verkannt“, meinte Sieber bei einer vom Freundeskreis Ortsgeschichte Dettingen organisierten Exkursion. In deren Rahmen beschäftigten sich rund 50 Interessierte mit der lokalen Wasser- und Energiegeschichte.

Auch für die Tuchfabrik Berger war die Wasserkraft ein wichtiger Innovationsmotor. Erst 1908 stieg der 1870 gegründete Betrieb v

Auch für die Tuchfabrik Berger war die Wasserkraft ein wichtiger Innovationsmotor. Erst 1908 stieg der 1870 gegründete Betrieb vom Wasserrad auf Turbinen um, die bis heute Energie liefern. Fotos: Daniela Haußmann

Unscheinbare Besonderheit

Dass das E-Werk nie als bauliches Highlight in Erscheinung trat, führt Eberhard Sieber auf die gründerzeitliche Architektur zurück. „Die zwischen der Gründung des Kaiserreichs 1871 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 erstellten Gebäude galten als kitschig, überladen und rückwärtsgewandt“, berichtet der Experte. „Viele von ihnen wurden daher abgerissen. Bei einigen entfernte man gezielt die Stuckdekoration, um die Bauten der Zeit anzupassen.“ Umso mehr kann sich Dettingen aus Sicht von Sieber glücklich schätzen, dass das als Wasserschlössle bekannte E-Werk unverändert erhalten geblieben ist. Das technische Denkmal entstand am Ende der Gründerzeit und weist dem Historiker zufolge deshalb eine schlichte Bauform auf, die frei von schmuckvollen Dekorationen ist.

Erbaut wurde das Kraftwerk von Philipp Jakob Manz, der zwischen 1892 und 1901 in Kirchheim ansässig war. Der Architekt ist bis heute vor allem für seinen Beitrag zur Industriearchitektur bekannt. Dass Manz das Dettinger Schlössle überhaupt realisieren konnte, war der akuten Kohleknappheit nach Kriegsende geschuldet. Damals hatten die Franzosen das Ruhrgebiet besetzt. Allein mit Kohle, die lange Zeit die Wasserkraft verdrängt hatte, konnten viele Betriebe ihre Produktion nicht aufrechterhalten. Kurzerhand fasste die Firma Leuze den Entschluss, das Schlössle zu bauen. Bis heute dient der imposante Turm des Gebäudes als Wasserspeicher und Druckausgleichsbehälter, während im unteren Geschoss zwei Turbinen Strom erzeugen.

Christian Ensinger (links) produziert im Dettinger Wasserschlössle (oben) noch heute mit Anlagen Energie, die vor fast 100 Jahre

Christian Ensinger (links) produziert im Dettinger Wasserschlössle (oben) noch heute mit Anlagen Energie, die vor fast 100 Jahren in Betrieb genommen wurden. Das Schloss ist eine architektonische Besonderheit: Dass es überhaupt errichtet wurde, ist der Kohleknappheit nach dem ersten Weltkrieg geschuldet. Foto: Daniela Haußmann

Auch in Owen und Unterlenningen betrieb das Unternehmen Anlagen zur Energieproduktion. Zusammen mit dem 1922 fertiggestellten Schlössle erzeugten deren generalüberholten Turbinen so viel Strom, dass auf den Einsatz von Kohle weitgehend verzichtet werden konnte, wie Eberhard Sieber erzählt.

Anlagen wie das Dettinger E-Werk wurden Christian Ensinger zufolge ursprünglich von Betrieben errichtet, um ihren Eigenbedarf zu decken. Der Fluss war eine wichtige Lebensader und Triebfeder für die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung, betont der Betreiber des Owener Stromversorgers C. Ensinger. Gewässer wie die Lauter lieferten Trinkwasser, leiteten Abwasser ab, versorgten die Landwirtschaft, trieben Mühlen an und wurden zum Motor der Industrialisierung.

Ein Zeugnis dafür ist der 1870 errichtete Lauterkanal, der direkt hinterm Wasserschlössle liegt und zur ehemaligen Tuchfabrik Berger führt. Doch schon lange bevor das künstliche Flussbett angelegt wurde, gab es in der Lauter Kanäle, wie Reinfried Kirchner weiß. „Über die wurde eine Säge- und eine Gipsmühle betrieben“, so der Experte, der das E-Werk der Tuchfabrik betreibt. Lange Zeit nutzten auch die Bergers ein sechs Meter großes Wasserrad, das 1908 zunächst durch eine Turbine und später durch eine weitere ersetzt wurde. Bis 1950 stand nicht die Stromerzeugung im Vordergrund, stattdessen wurde die Energie in die Maschinenhalle der Tuchfabrik geleitet, wo die Anlagen über Riemen angetrieben wurden.

Bereits um die Jahrhundertwende gab es Reinfried Kirchner zufolge Akkus. „Das waren mit Säure gefüllte Gläser, die Bleiplatten enthielten und tagsüber Energie speicherten“, erklärt Christian Ensinger. „Nachts, wenn die Betriebe stillstanden und die E-Werke abgeschaltet wurden, sorgten die Akkus in den Haushalten für Licht.“ Kühlschränke und andere elektrische Verbraucher fanden erst ab den Fünfzigerjahren Verbreitung. Daher reichte die von den Akkus gelieferte Energiemenge aus, um den vorhandenen Bedarf zu decken.

Da über die Lauter jahrhundertelang beispielsweise Abfälle und Fäkalien von Haushalten nebst Industrieabwässern entsorgt wurden, war das Gewässer völlig tot, betont Edith Burger vom Freundeskreis. Trotzdem hat die Bevölkerung in der Lauter gebadet, manche haben dort sogar das Schwimmen gelernt.

Die Exkursion zeigte in herausragender Weise, wie das Leben der Menschen vom Fluss beeinflusst wurde und eröffnete tiefe Einblicke in die Wirtschaftsgeschichte. Genau das begeisterte die Besucher.