Zwischen Neckar und Alb
Die Kreis-SPD will „Profil zeigen und standhaft bleiben“

Interview Der Erfolg bei der Bundestagswahl hat der SPD im Kreis Rückenwind verschafft. Für den Kreisvorstand gilt es nun, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das Trio will das soziale Profil der Partei schärfen. Von Alexander Maier

Die SPD ging 2021 durch ein Wechselbad der Gefühle: Monatelang blieb die Partei weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück, doch im Jahresverlauf hellte sich die Stimmung zusehends auf. Der unverhoffte Erfolg bei der Bundestagswahl im Herbst hat auch den Sozialdemokraten im Kreis Esslingen Rückenwind beschert. Wie die Kreisvorsitzenden Barbara Fröhlich und Simon Bürkle und ihre Stellvertreterin Argyri Paraschaki-Schauer, die seit Juli im Amt sind, ihre Partei im Aufwind halten wollen, erläutern sie im Gespräch mit Alexander Maier.

 

Vor einem Jahr war Ihre Partei bundesweit bei zwölf Prozent, bei der Bundestagswahl wurde sie stärkste Kraft. Ein überraschendes Gefühl, oder?

Simon Bürkle: Vor einem Jahr hätten uns tatsächlich nur wenige zugetraut, dass wir so aufholen und sogar den Kanzler stellen würden. Jetzt freuen wir uns über diesen Erfolg und darüber, dass sich die gute Regierungsarbeit mit vielen oft schmerzhaften Entscheidungen, die uns die Große Koalition abverlangt hat, am Ende doch ausgezahlt hat. Das war auch bitter nötig, weil sich nun die Chance für einen politischen Aufbruch bietet. Der wäre uns mit der CDU nicht mehr gelungen.

Wirkt sich der Erfolg im Bund spürbar auf die Stimmung Ihrer Mitglieder aus?

Argyri Paraschaki-Schauer: Mit dem Rückenwind der Bundestagswahl sind unsere Mitglieder viel motivierter. Ich habe schon im Wahlkampf-Endspurt gespürt, dass es aufwärts ging. Plötzlich konnten wir manche Themen ganz anders diskutieren. Das liegt auch daran, dass sich die soziale Frage für viele Menschen zunehmend stellt. Die Pandemie hat vieles deutlicher zum Vorschein gebracht, was schon vorher da war. Menschen fragen sich etwa, weshalb Unternehmen trotz Milliardengewinnen hiesige Betriebe schließen und Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.

Barbara Fröhlich: Ob beim Einkauf, an der Zapfsäule oder wenn die Stromrechnung kommt – jeder spürt, dass das so nicht weitergehen kann. Menschen, die weit weg vom Arbeitsplatz wohnen müssen, weil sie sich vor Ort keine Wohnung mehr leisten können, kann man nicht sagen, dass sie das Fahrrad nehmen sollen. Nirgendwo ist der Strom so teuer wie in unserem Land. Da fragen sich viele, weshalb Industrieunternehmen oft weniger zah len als der Bürger, der den Strom genauso nötig braucht. Das alles geht nicht ohne sozialen Ausgleich. Da ist die SPD gefragt.

Der jüngste Wahlerfolg tut gut, aber die Erwartungen wollen erfüllt werden ...

Bürkle: Der Erfolg bei der Bundestagswahl ist Verpflichtung – nicht nur für uns. Es muss für alle demokratischen Parteien darum gehen, Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen. Was wir derzeit mit den so genannten Querdenkern erleben, hätte es vor zehn Jahren in dieser Form noch nicht gegeben. Das müssen wir ernst nehmen und überlegen, woher das Misstrauen und die Unzufriedenheit bei manchen Menschen rührt. Jeder weiß, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgegangen ist. Die Menschen müssen spüren, dass sich die Politik insgesamt und besonders die SPD dagegen stemmt.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl 26 Prozent geholt. Kann das für eine Volkspartei das Maß aller Dinge sein?

Paraschaki-Schauer: 26 Prozent waren ein Erfolg, sie sind aber kein Grund, sich auszuruhen. Klar ist: Die Zeiten, als sich zwei Volks parteien 90 Prozent der Stimmen geteilt haben, sind vorbei. Unsere Gesellschaft ist inzwischen heterogener geworden. Wir müssen schauen, wo wir als Gesellschaft stehen, und müssen auf die großen Zukunftsfragen die richtigen Antworten geben. Und wir müssen unser soziales Profil weiter schärfen. Die SPD muss nicht dafür sorgen, dass Besserverdienende weniger Steuern zahlen. Das tun andere. Wir müssen schauen, dass diejenigen, die tagtäglich arbeiten, davon leben können. Da gibt es extreme Schieflagen. Die Starken müssen sich stärker beteiligen.

Fröhlich: Das Image der Politik wird von den Menschen geprägt, die sie vertreten. Politik macht man nicht nur für sich selbst, sondern für alle. Keiner darf sich selbst wichtiger nehmen als das Ganze. Dafür haben die Menschen ein feines Gespür. Unsere Arbeit beginnt vor Ort: Wir müssen schauen, welche Themen für die Menschen relevant sind und was ihr Leben tagtäglich bestimmt. Wir alle können Tag für Tag vor Ort zeigen, was eine sozialdemokratische Haltung bedeutet.

Junge Wählerinnen und Wähler sind der SPD abhandengekommen. Was tun Sie?

Bürkle: Wir wollen jungen Leuten zeigen, dass viele ihrer Themen auch unsere sind. Dazu brauchen wir Formate, um ihnen Beteiligung zu ermöglichen, ohne sich in die gewohnten Parteistrukturen einfügen zu müssen. In der Pandemie haben wir verstärkt digitale Kanäle genutzt. Das kam gerade bei jungen Leuten sehr gut an. Und wir müssen bei wesentlichen Zukunftsthemen wie Wohnen, Schulpolitik, Sozialpolitik, Transformationsprozessen in der Wirtschaft oder Klimaschutz klare Antworten bieten.

Paraschaki-Schauer: Umwelt- und Klimaschutz sind der jungen Generation sehr wichtig. Ich will nicht sagen, dass wir bei diesem Thema besser sind als andere Parteien. Was uns jedoch unterscheidet: Wir denken Klimaschutz ganzheitlich und wollen auch über die sozialen Folgen reden. Da hängen Arbeitsplätze dran, und die Menschen müssen sich das, was sie für den Klimaschutz tun, leisten können. Es genügt nicht, auf angesagte Themen aufzuspringen. Man muss die richtigen Schlüsse ziehen.

Fröhlich: Die Bildungspolitik ist eines unserer wichtigsten Anliegen, die junge Menschen unmittelbar betreffen. Sie fragen sich: Wo werde ich arbeiten, und welchen Ausbildungsplatz bekomme ich? Die Coronazeit hat gravierende Lücken hinterlassen, die man mit Lernbrücken allein nicht mehr schließt. Schon Siebtklässler haben teils aufgegeben und finden den Anschluss ans Lernen nicht mehr. Das Versprechen der SPD hieß stets „Aufstieg durch Bildung“. Das muss auch in der heutigen Zeit und unter dem Eindruck von Corona ein großes Thema für uns sein.

Wo sehen Sie die Zukunft Ihrer Partei?

Paraschaki-Schauer: Wir müssen unserer vielfältigen Gesellschaft gerecht werden. Es gibt so viele, die sich für Politik interessieren, aber hier nicht wahlberechtigt sind. Da spielt das Thema Einbürgerung eine Rolle. Und wir müssen noch mehr an diejenigen denken, die ohne Tarifbindung und prekär beschäftigt sind. Dass Menschen in Vollzeit arbeiten und mit 900 oder 1000 Euro netto nach Hause gehen – das reicht hinten und vorne nicht. Die SPD kann es nicht allen recht machen. Wir müssen uns auf unsere Kernthemen fokussieren, klares Profil zeigen und standhaft bleiben.

 

Das Spitzentrio der SPD im Kreis Esslingen

Simon Bürkle Der 30-jährige Wendlinger ist Arbeitsvermittler und leitet die Kirchheimer Geschäftsstelle der Agentur für Arbeit. Er ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Wendlingen und war drei Jahre lang Kreisvorsitzender der Jusos. Neben der politischen Arbeit ist er stellvertretender Vorsitzender der DLRG Wendlingen.

Barbara Fröhlich Die 61-jährige Hauswirtschaftsmeisterin arbeitet als berufliche Lehrerin. Sie ist Vorsitzende der SPD Denkendorf und Fraktionsvorsitzende im dortigen Gemeinderat. Bis 2021 gehörte sie dem Rundfunkrat an, neun Jahre war sie im Landeselternbeirat . Bei der Focus-Ferienbetreuung ist sie ebenfalls aktiv.

Argyri Paraschaki-Schauer Die Wirtschaftsfachwirtin (44) wurde auf Rhodos geboren und lebt in Esslingen. Sie ist Geschäftsführerin des Landesverbands der kommunalen Migrantenvertretungen, Mitglied im SWR-Rundfunkrat, Sprecherin des Fachrats Migration und Integration in Esslingen und war Bundestagskandidatin. adi