Zwischen Neckar und Alb
Die Leckerlis für die Ziegen kommen aus der „Capra Box“

Landwirtschaft Die Automatisierung hält auch in der Nutztierhaltung Einzug: An der Hochschule Nürtingen-Geislingen wurde ein Futterspender für Ziegen entwickelt. Von Philipp Braitinger

Beim Essen hört bekanntlich die Freundschaft auf. Wenn es zu einem Gerangel am Futtertrog kommt, können sich insbesondere horntragende Tiere schwere Verletzungen zufügen. Das weiß auch Maren Bernau, Professorin für Tierzucht und Nutztierhaltung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen – und hat sich etwas einfallen lassen: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Stanislaus von Korn hat sie einen vollautomatischen Futterspender für Milchziegen entwickelt. Ein Hersteller vertreibt das Gerät bereits als „Capra Box“.

„Das ist ganz schön ordentlich“, sagt Maren Bernau über die Leistungsfähigkeit von Milchziegen. Rund tausend Liter Milch könne ein Tier pro Jahr geben. Zum Vergleich: Eine Hochleistungsmilchkuh liefert zwar das Zehnfache; doch Ziegen sind mit einem Gewicht von rund 70 Kilogramm zehnmal kleiner. Wer so viel Milch geben soll, braucht entsprechendes Kraftfutter. „Man muss sie gut ernähren“, sagt Bernau. Im Falle der Ziegen besteht das begehrte Futter vor allem aus Getreide.

Herkömmlich wird das Kraftfutter beim Melken, zweimal pro Tag, gefüttert. „Das ist aber nicht immer leistungsgerecht“, erklärt die Professorin. Denn bei dieser Methode bekommt jede Ziege mehr oder weniger dieselbe Menge an Kraftfutter – egal ob sie viel oder wenig Milch gibt. Beim automatischen Futtersystem wird die Futtermenge an jedes einzelne Tier angepasst. Über einen Sensor am Ohr erkennt das System die einzelnen Ziegen und gibt die voreingestellte Menge Kraftfutter auf sieben Portionen und den ganzen Tag über verteilt aus. Wichtig ist, dass die Ziegen einzeln mit dem Kraftfutter gefüttert werden. Sie müssen zunächst über eine Rampe in eine erhöhte Box klettern. Dann schließt sich die Eingangstüre, die Tiere erhalten ihre Ration und werden anschließend über die Ausgangstür wieder in den Stall entlassen. Dann kann das nächste Tier rein. Bis alles reibungslos funktioniert hat, musste viel getüftelt werden. Bereits 2018 hatten Bernau und von Korn damit begonnen, im Oktober 2019 lief die Praxisphase an. Nun ist das Projekt beendet.

„Ziegen sind sehr erfinderisch“, sagt Maren Bernau. Deshalb musste zum Beispiel bedacht werden, dass die Tiere möglicherweise versuchen würden, mit ihren Hörnern den Türmechanismus aufzuhebeln. Ferner musste vermieden werden, dass zwei Tiere nebeneinander zum Eingang gelangen können. Andernfalls hätten wieder Auseinandersetzungen gedroht – die oft nicht folgenlos bleiben: „Die Tiere fügen sich schwere Verletzungen zu“, erklärt Bernau.

Um dies zu verhindern, wurden den Ziegen früher die Hörner entfernt. Doch das sei laut Tierschutzgesetz nicht mehr zulässig, so die Hochschullehrerin. „Es ist nicht in Ordnung, die Tiere an ein Haltungssystem anzupassen“, betont sie. Stattdessen muss nun die Haltung an die Tiere angepasst werden. Zum einen bestehe bei den Ziegen eine Verletzungsgefahr beim Entfernen der Hörner. Darüber hinaus benötigten die Tiere ihre Hörner auch für die Kommunikation untereinander. Allerdings gebe es auch Ziegen, die ohne Hörner gezüchtet worden seien. Wer also Ziegen ohne Hörner sieht, muss nicht automatisch von einem Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ausgehen.

Erprobt wurde das Futtersystem in einem Betrieb in Nußloch (Rhein-Neckar-Kreis). Dabei wurden die Tiere mit Kameras beobachtet, ein Schrittzähler gab zusätzliche Hinweise. Der Einsatz des Systems habe zu einer Beruhigung der Tiere geführt, berichtet Bernau. „Für Wiederkäuer ist das gut“, erklärt sie. Außerdem werden Verletzungen vermieden, weil es kein Gerangel um das Kraftfutter mehr gibt. Darüber hinaus scheint das automatisierte Futtersystem auch einen gewissen Unterhaltungswert für die Tiere zu haben. Die Forscher haben beobachtet, dass die Ziegen zuweilen über die Rampe und durch die Futterbox laufen, ohne etwas zu essen zu bekommen.

Es ist aber nicht allein das Tierwohl, das aus Sicht der Forscher gesteigert wurde. Der Einsatz des Futtersystems habe sich auch auf die Milchproduktion ausgewirkt: Sie sei gestiegen. Eine genaue Quantifizierung der Milchsteigerung stehe aber noch aus, sagt Bernau. Noch nicht getestet sei das System bei Ziegen, die Kitze bei sich haben. „Wir wissen noch nicht, ob sie damit klarkommen“, sagt die Professorin.

Vielseitig und genügsam

Partner: Für die Entwicklung des Futtersystems hat die Hochschule mit dem niederländischen Hersteller Hanskamp Dedden zusammengearbeitet, der das System nun auch im Angebot hat. Rund 17 000 Euro kostet eine Capra Box. Eine Box kann rund 50 Ziegen pro Tag versorgen.

Ziegenhaltung: Laut der Professorin ­Maren Bernau nimmt die Ziegenhaltung in Deutschland zu. Zum einen habe die Industrie Ziegenmilch als Alternative zur Kuhmilch bei der Herstellung von Baby­milchpulver entdeckt. Zum anderen seien die Tiere genügsam in der Haltung.

Geschichte: Die Ziege zählt neben dem Schaf zu den ältesten Nutztieren des Menschen. Ihre Domestizierung erfolgte wahrscheinlich schon vor dem elften Jahrtausend vor Christus. Dies geschah zunächst im Vorderen Orient. Die genügsamen Tiere liefern Fleisch, Leder und Milch. bra