Zwischen Neckar und Alb
Die Pfarrhauskette in Württemberg half Verfolgten auf der Flucht

Verhaftungen: Von den ursprünglich 500 000 Juden in Deutschland lebten Anfang des Jahres 1943 noch 50 000. Innerhalb von zwei Monaten sollten auch sie deportiert und ermordet werden. So wurde die Situation für Bürger jüdischen Glaubens immer prekärer. Einigen Hundert Juden gelang es jedoch, den Verhaftungen zu entkommen. Sie lebten versteckt oder waren - wie Ines und Max Krakauer - innerhalb des Landes ständig auf der Flucht.

Emigration: Nachdem Max Krakauer 1933 auf Druck eines Mitarbeiters, der überzeugter Nazi war, alle Rechte an seinem 1919 gegründeten Filmverleih hatte abtreten müssen, versuchte er mit seiner Frau in die USA, nach Palästina, Australien oder England zu emigrieren. Alle Bemühungen des jüdischen Ehepaars blieben jedoch erfolglos. Nur ihrer Tochter Inge gelang 1939 die Emigration nach England.

Pfarrhäuser: Durch Vermittlung von Berliner Pfarrern konnten sich Ines und Max Krakauer zunächst in Brandenburg und Pommern verstecken. Im August 1943 kamen sie nach Württemberg, wo sich im Laufe der Zeit eine Pfarrhauskette gebildet hatte. Ziel war es, Juden und anderen Verfolgten auf der Flucht zu helfen. Viele der Pfarrer waren Mitglieder der Bekennenden Kirche oder standen ihr nahe.

Stationen: Im heutigen Landkreis Esslingen wurde die Pfarrhauskette von 1943 bis 1945 vor allem von Pfarrer Theodor Dipper in Reichenbach organisiert. Er war bereits im Konzentrationslager Welzheim inhaftiert gewesen und seit 1937 mit einem Redeverbot belegt. Außer in Reichenbach fanden Ines und Max Krakauer beim Köngener Pfarrer Eugen Stöffler und seiner Frau Johanna, bei Pfarrer Paul Hornberger und seiner Frau Lydia in Altbach, in der Esslinger Südkirche bei Pfarrer Paul Schmidt und seiner Frau Marianne sowie bei Magdalene Bopp in Plochingen Zuflucht.

Befreiung: In den 27 Monaten ihrer Flucht fanden Ines und Max Krakauer in 66 Häusern Unterschlupf. Nach seiner Befreiung lebte das Ehepaar in Stuttgart. In seinem Buch „Lichter im Dunkel“, das inzwischen im Calwer Verlag neu aufgelegt worden ist, schilderte Max Krakauer die Stationen seiner Flucht. Außer Ines und Max Krakauer sind bisher 17 weitere Personen namentlich bekannt, die die NS-Zeit dank der württembergischen Pfarrhauskette überlebt haben. dw