Die Freundschaft mit Günter Bauch, einem der Co-Autoren seiner Biografie „Das ganze schrecklich schöne Leben“, ist Konstantin Wecker heilig. Bei seiner Lesung auf der Nürtinger Kulturbühne, die wegen der Kälte im Saal der Stadthalle K3N stattfand, berichtete der Liedermacher, Sänger und Schauspieler vom Glück, Menschen wie ihn um sich zu haben. Auf der Bühne war der 73-jährige Wecker locker und entspannt wie eh und je zu erleben. Und er strotzt vor Kraft. „Es geht darum, die Vergangenheit umzuwandeln“, sagt der Künstler. Denn es sei wichtig, aus den gemachten Fehlern zu lernen - da spielte er auch auf seine Kokainsucht an. Weil er die eigene Geschichte wohl immer neu schreiben wolle, habe er sein bewegtes Leben in mehreren Autobiografien aufgeschrieben.
Eigentlich hätte der Münchner Künstler schon im Juli auf der Kulturbühne am Schillerplatz im Freien gastieren sollen. Jetzt fand der Nachholtermin statt. Der Club Kuckucksei, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiern wollte, hat den Abend organisiert. Wegen der Corona-Pandemie fällt das Jubiläumsfest in diesem Jahr aus, wird erst 2021 gefeiert. Mit seinen flammenden Appellen für eine antifaschistische Gesellschaft traf Wecker den Duktus des „kulturell-politischen Clubs“ genau.
Generationen politisch denkender Menschen begleitet der Münchner seit Jahrzehnten. In Nürtingen erzählte der Künstler, dem 1974 mit „Genug ist nicht genug“ der Durchbruch gelang, bestechend ehrlich von seinem bewegten Leben, das nicht frei von Widersprüchen ist. Der Schöpfer und Interpret der Ballade „Willy“, die von der Ermordung eines Antifaschisten durch Rechtsradikale handelt, hat in jungen Jahren auch Softpornos gedreht.
Nicht frei von Widersprüchen
Den Film „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ gebe es heute noch auf Youtube zu sehen, kokettierte der Künstler mit seiner Vergangenheit. Da ist der junge Wecker mit kariertem Hemd und Krachlederner zu sehen, bedient sämtliche Klischees eines urigen Bayern. Synchronisiert wird seine Stimme aber von einem norddeutschen Kollegen. Der ironische Unterton besticht, wenn er solche Jugendsünden mitteilt. Nach seinem Durchbruch als Liedermacher habe er den lukrativen Nebenverdienst aufgegeben: „Mit einem politischen Text wie ‚Willy’ ging das einfach nicht zusammen.“ Umso glücklicher ist er, dass er später mit Regiestars wie Margarete von Trotta oder mit Helmut Dietl seine Karriere vor der Filmkamera fortsetzen durfte.
Dass der charismatische Künstler bei der Nürtinger Kulturbühne mit einer Lesung angekündigt wurde, bedauerten viele Fans. Immer wieder sang der Münchner dann aber mit seiner Stimme, die nichts von ihrer kantigen Kraft eingebüßt hat. Tief berührte seine musikalische Hommage an Hans und Sophie Scholl und ihre Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“. Ohne Begleitung am Klavier klingt seine Stimme noch eindringlicher. Im Kampf gegen den Nationalsozialismus findet Wecker bedingungslose Liebe zu den Menschen. Mit seinen Liedern erinnert er an diese Vorbilder. Den Geist des Widerstands habe er von seinen Eltern gelernt: „Sie widerstanden im Herzen.“
Ins Bild vom vergeistigten Intellektuellen wollte sich Wecker nie pressen lassen. In jungen Jahren hat der Psychologiestudent in der heimischen Garage die Muskeln gestählt, Mucki-Buden habe es da noch nicht gegeben. Drahtig und fit wirkt der 73-Jährige heute noch. Er bewegt sich viel auf der Bühne, wendet sich immer wieder direkt ans Publikum. Liebevoll spricht der Künstler, der nach vielen Lebenskrisen Vater wurde, von seinen eigenen Söhnen Valentin und Tamino.
In der eineinhalbstündigen musikalischen Lesung fesselt Wecker das Publikum nicht nur mit seiner Sprachkunst. Seine Lebensgeschichten berühren zutiefst. Um „ein freies Leben als Dichter“ beginnen zu können, stahl er Geld von der Trabrennbahn. Von seiner Zeit in der Haft in Stadelheim erzählt er ehrlich und sachlich. Doch ist seine Sprache von Poesie durchsetzt. Bilder vom Leben in der Zelle, vom Mond, der sich in Karos auf kahlen Wänden spiegelt, wecken Schauder. Doch wie eh und je versteht es Wecker, dunkle Seiten des Lebens in betörende Texte und Musik zu kleiden.