Direktvermarktung
Die Rückkehr zur Hofschlachtung

Der Startschuss ist gefallen. Die „Bäuerliche Schlachtgemeinschaft im Biosphärengebiet“ unterstützt nachhaltig wirtschaftende Viehbetriebe. Ihr Chef ist 22 Jahre alt und kommt aus Bissingen.

Metzgermeister Paul Russ ist Geschäftsführer der neu gegründeten „Bäuerlichen Schlachtgemeinschaft im Biosphärengebiet.“ Foto: Markus Brändli

Besseres Fleisch, kurze Transportwege, weniger Stress für Tiere – Verbraucher, denen all dies am Herzen liegt, bleibt oft nur der Gang zum Direktvermarkter. Landwirte, die das Fleisch ihrer Tiere ab Hof verkaufen, werden zahlreicher. Die große Frage, die alle beschäftigt: Wo und wie wird geschlachtet? Seit dem 29. April gibt es einen Verein, der Landwirten völlig neue Wege eröffnen will: Die  „Bäuerliche Schlachtgemeinschaft im Biosphärengebiet“ möchte Viehbetrieben, die alternative Vertriebswege nutzen, ermöglichen, was in  früheren Zeiten die Regel war: die Hofschlachtung. Der Tod auf der Weide, das Ausbluten im mobilen Schlachtanhänger, erst dann folgt der Transport in den Schlachtbetrieb. In diesem Fall  ins gemeindeeigene Schlachthaus nach Westerheim, wo der Verein seinen Sitz hat und wo das Fleisch zerlegt und für den Hofverkauf vorbereitet wird.

„Die Erzeuger nehmen damit das für sie wichtigste Thema selbst in die Hand“, sagt Rainer Striebel, der im Auftrag des Landes in der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets die Regionalvermarktung leitet. Er sagt: „Für Landwirte ist das die große Chance, ohne selbst größer investieren zu müssen.“ Rund 50 Erzeuger aus vier Landkreisen ziehen bisher mit. Etwa die Hälfte zeigt Interesse an mobiler Schlachtung. Die Zahl der Mitglieder, so ist Striebel überzeugt, wird weiter wachsen. Der Bedarf ist vorhanden, das untermauert eine vom Land in Auftrag gegebene Studie. Schon deshalb, weil es immer weniger Metzgereien gibt, die Lohnschlachtungen im kleinen Rahmen für Landwirte anbieten. Umso erstaunlicher ist: Das Projekt in Westerheim ist landesweit einmalig. Selbst im Nachbarland Bayern gibt es lediglich ein Beispiel, das auf ähnliche Weise funktioniert.

Im Westerheimer Rathaus ist man indes froh, mit dem Verein einen Pächter gefunden zu haben. Die gemeindeeigene Einrichtung, die zuletzt vor allem für Hausschlachtungen genutzt wurde, schreibt seit längerem schon rote Zahlen. Die Schließung drohte. Dabei ist das Schlachthaus durchaus zukunftsfähig, weil es über eine EU-Zulassung verfügt. „Das wirtschaftliche Risiko für den Verein ist sehr überschaubar“, sagt Rainer Striebel. Es muss ein Anhänger für mobiles Schlachten und ein zusätzlicher Kühlanhänger angeschafft werden. Dafür rechnet der Verein mit Fördermitteln. Eine größere Kapitalbindung, wie das bei einer GmbH der Fall wäre, gibt es nicht. Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeitsrechnung ist Striebel überzeugt: „Das wird funktionieren.“ Schließlich ist Tier- und Weidehaltung im Biosphärengebiet ein wichtiger konzeptioneller Baustein. „Deshalb sind wir daran interessiert, dass die Wertschöpfungskette funktioniert.“ Ende des Jahres werden sich die „Geburtshelfer“ , wie Striebel sich und das Projektteam bezeichnet, zurückziehen und den Verein ans Werk lassen.

Dann beginnt die eigentliche Arbeit für Paul Russ. Der 22-Jährige aus Bissingen ist Metzgermeister und einer, der Fleisch lange Zeit verpönt hat. Weil er sich schon früh für landwirtschaftliche Tierhaltung interessierte und mit kritischem Blick die gängigen Handelswege in der Fleischproduktion verfolgte, hat er nach dem Abitur beschlossen: „Ich will es besser machen.“

Russ wird als verantwortlicher Lebensmittelunternehmer – so die korrekte Bezeichnung – alleine die Geschäfte in Westerheim führen. Dass er trotz seines Alters von Kollegen und Landwirten respektiert und geachtet wird, hat einen einfachen Grund: Seine Leidenschaft für seinen Beruf, für hochwertige Lebensmittel spricht bei ihm aus jedem Satz. Auch wenn viele einem Schlachter das nicht abnehmen mögen: Ihm geht es ums Tierwohl. „Wenn man ein Tier, das ein Leben lang auf der Weide stand, am letzten Tag in einen Anhänger sperrt und kilometerweit zum Schlachthof karrt, dann ist jahrelange Mühe in nur wenigen Stunden dahin“, sagt er.

Kurze Wege, Schlachtung an Ort und Stelle – „das ist nicht nur wirtschaftlicher“, sagt Russ, „das schafft auch Vertrauen beim Konsumenten“. Dass auf diesem Wege weder handelsübliche Mengen noch Preise zu erzielen sind, das weiß auch er. „Ich will kein Produkt herstellen, dass sich nur Reiche leisten können,“ betont der künftige Geschäftsführer der Schlachtgemeinschaft. Und dennoch: „Ein Grundrecht auf tägliches Billigfleisch gibt es schließlich nicht.“ Wer  Direktvermarktung unterstützt, wer Fleisch als etwas Besonderes betrachtet und wer einen Bezug zum Produkt hat, weil er genau weiß, wo es herkommt und wie es aufgewachsen ist, sagt der 22-Jährige, „der hat nicht nur mehr Freude daran, der wirft auch weniger weg“.

Mitglied werden kann jeder

Die Schlachtgemeinschaft steht landwirtschaftlichen Betrieben wie auch Privatpersonen offen. Privatpersonen auch ohne Schlachtinteresse können den Erhalt einer kleinstrukturierten, regionalen Schlachtung unterstützen, indem sie Fördermitglied werden. Dadurch erhalten sie jederzeit Auskunft darüber, welche Tiere an welchen Tagen geschlachtet werden und wo deren Fleisch je nach Verfügbarkeit bezogen werden kann. In Westerheim geschlachtet werden dürfen Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe. Landwirtschaftliche Betriebe können eine Mitgliedschaft beantragen unabhängig davon, ob sie biologisch oder konventionell wirtschaften. Auch Betriebe außerhalb des Biosphärengebiets Schwäbische Alb können Mitglied werden.
Wer keine eigene Direktvermarktung betreibt, für den kann sich eine Mitgliedschaft dennoch lohnen. Der Verein bietet die Möglichkeit, die Infrastruktur gegen einen reduzierten Grundbeitrag nur für Notschlachtungen in Anspruch zu nehmen. Weitere Informationen, der Mitgliedsantrag sowie Kontaktmöglichkeiten zum Verein finden sich unter www.biosphaerengebiet-alb.de/projekte/detail/schlachtgemeinschaft. tb