Mit ihrer klangvollen Stimme erfüllt Hanne Kah den fast leeren Club Kuckucksei. Im Song „100 People“ setzt sich die 30-jährige Folk-Liedermacherin mit der Geschichte der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch auseinander. 2018 hat die Überlebende des Mädchenorchesters im Konzentrationslager Auschwitz eine bewegende Rede im Deutschen Bundestag gehalten. „Das hat mich zu dem Song inspiriert“, erzählt Hanne Kah dem Publikum beim Livestream aus dem Nürtinger Club. Gesendet wird aus dem ehemaligen Kutscherhaus in der Neckarstraße. Mit dem Song berührt die wortgewandte Künstlerin das Publikum des Wohnzimmerkonzerts. In Kahs Worten wird Lasker-Wallfisch, die die Verbrechen der Nationalsozialisten im KZ überlebte, gegenwärtig: „Sie hat es gelernt, Hass zu vergessen. Doch wenn Menschen beginnen, zu vergessen, kehren diese Gefühle zurück.“
Sound trifft ins Herz
Den politischen Texten der vierköpfigen Band zu lauschen, ist ein Erlebnis. Die melodiebetonten Kompositionen für Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug treffen mitten ins Herz. Und wenn Patrick Jost das Akkordeon seitenverkehrt hält und ihm dennoch den schönsten Sound entlockt, dürfen die Zuhörer auch mal befreit kichern.
Weil das Konzert der Band aus Mainz nicht vor Livepublikum stattfinden durfte, hat das Kuckcksei-Team den Livestream möglich gemacht. „Das bedeutet sehr viel Zeitaufwand“, sagt Technikchef Dirk Egersdörfer. Mit dem hochprofessionellen Ergebnis des Filmteams ist er hochzufrieden. Hanne Kah bezieht das Publikum vor den Bildschirmen mit lockeren Moderationen ein. Im Kanal von Youtube hagelt es Herzchen und begeisterte Kommentare. Auch Fans aus Kanada haben sich zum ersten Konzert der deutschen Band seit Oktober eingeklinkt.
Bis zum ersten Lockdown haben die drei Musiker und ihre Frontfrau eine glänzende Karriere hingelegt. Die Künstlerin sieht sich in der Tradition von Joni Mitchell und Tracy Chapman: „Mit ihnen bin ich groß geworden.“ Der Mix aus Folk, Country und anspruchsvollen Texten spricht nicht nur das Publikum der Generation Y an, zu der die 30-Jährige zählt. Ihr neues Album ist nach ihrer Generation benannt, die sich schwertut, in Zeiten von Klimawandel und Coronakrise die Zukunft zu gestalten. Eines ihrer Lieder des neuen Albums ist der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg gewidmet.
Ebenso wichtig wie die Texte sind die gitarrenbetonten Melodien. Dabei setzt die Band auf differenzierte Komposition. Wunderbare Klangakzente setzt Niklas Quernheim mit seinem Kontrabass. Schlagzeuger Malte Schmidt liefert alles andere als eine dunkle Klangkulisse. Wenn dann die Frontfrau selbst noch die Pauke bearbeitet, würde in normalen Zeiten im Club Kuckucksei gewiss getanzt. Der Blick in den Chat von Youtube verrät: In einigen Wohnzimmern blieben die Fans schon lange nicht mehr auf den Stühlen sitzen.
Nun sind der erfolgreichen Band Liveauftritte vorerst verwehrt. „Wir kamen gerade von unserer Tournee in Australien, als der Lockdown kam“, erinnert sich Hanne Kah an den 13. März 2020. Aus Sicherheitsgründen hat die Band ihr damals geplantes Konzert in Deutschland abgesagt. Mit den wirtschaftlichen Folgen kämpfen die Bandmitglieder nun wie die gesamte Szene. „Ohne Nebenjobs geht es nicht mehr“, sagt Hanne Kah.
Zu tun gebe es mehr als genug: Mit einer eigenen digitalen Plattform sind sie und ihr Team zwar Tag und Nacht beschäftigt. Geld gibt es dafür aber nicht. Umso glücklicher ist die 30-Jährige, dass der Club Kuckucksei den Livestream möglich gemacht hat. Zwar sind Hanne Kah und ihre Band auch immer wieder im Fernsehen vertreten. „Aber wir haben jetzt einfach große Sehnsucht nach dem Livepublikum“, macht sie aus ihrer Frustration keinen Hehl.
Informationen über die Streamingangebote des Clubs Kuckucksei gibt es unter https://kuckucksei.club. Hanne Kahs digitale Kulturplattform läuft unter www.culture-y.com